Von Pascal Mathéus
Wirklich nahegekommen ist Thomas Bader kaum jemand. Selbst bei langjährig vertrauten Kunden und Gesprächspartnern wahrte der Buchhändler „die Eleganz der Distanz“, wie es Karl-Heinz Ott anlässlich des Abschiedsabends für Thomas Bader einmal ausdrückte. Wer war also der 2014 verstorbene, langjährige Inhaber der Buchhandlung zum Wetzstein? Eine Spurensuche in Dokumenten und Berichten von Weggefährten und Vertrauten.

Wer Thomas Bader kannte, schwärmt von ihm. Das scheint ein Naturgesetz zu sein. In den letzten Wochen und Monaten habe ich anlässlich der Wiedervergrößerung der Buchhandlung zum Wetzstein mit vielen Kunden über ihn gesprochen. Fast alle hatten sie eine Anekdote zu berichten, in der Thomas Baders besonderer Charakter aufschien. Beinahe jeder lobte seine Qualitäten als Buchhändler, als Gesprächspartner und als humorvoller und großherziger Mensch. Auch viele seiner Aussprüche sind bis heute sofort bei der Hand, wenn das Gespräch auf Bader kommt:
„Unsere Bücher sollen es hier guthaben. Sie sollen sich hier wohlfühlen, bis sie erlöst werden“, zitiert ihn etwa eine Kundin aus Osnabrück. Wie so viele kam und kommt auch sie bei jedem Freiburg-Besuch in die Buchhandlung, um der besonderen Atmosphäre wieder zu begegnen, die Thomas Bader geschaffen hat. Spürbar war für jedermann, dass sein Verhältnis zu den Büchern weit über das merkantile Interesse hinausging, ja damit eigentlich überhaupt nichts zu tun hatte. Vielmehr mutete die Buchhandlung unter Bader so an, „als sei man in eine Privatbibliothek eingeladen und dürfe deren Schätze bewundern“, wie es Rainer Moritz in seinem Portrait des Wetzstein in dem Band Die schönsten Buchhandlungen Europas schrieb.
Tilman Winterling, der Gründer des Blogs 54Books, schrieb 2014 einen Nachruf auf Bader. Darin berichtet er von seinem ersten Besuch in der Buchhandlung: „Völlig überwältigt von der Sammlung an Prachtausgaben und Klassikerreihen, Autographen großer und größter Schriftsteller und einem Geist und Würde ausstrahlendem Ambiente, stammelte ich dem Inhaber entgegen, dass dies mit Sicherheit die schönste Buchhandlung sei, die ich je betreten habe. Ein Lächeln huschte über Baders Gesicht und er stand von seinem Sessel auf: ‚Bei einem solchen Lob, und das aus dem Mund eines noch so jungen Mannes, muss ich mich erheben. Ich danke Ihnen sehr.‘“
Einen ähnlich aufgeschlossenen Thomas Bader lernte auch Uli Eigler kennen. Der Zürcher Latinist ist in Freiburg aufgewachsen. Für ihn und seine Familie gehörten die Besuche in der Buchhandlung zum samstäglichen Ritual, dem wenigstens alle vierzehn Tage nachgegangen wurde. Seinen ersten Besuch als Gymnasiast hat Eigler deshalb in so guter Erinnerung behalten, weil ihm Thomas Bader ungewöhnlicher Weise sofort auf Augenhöhe begegnete. Während Lehrer und andere Erwachsene Schüler seinerzeit höchstens von oben herab oder aber gar nicht beachteten, zeigte sich Thomas Bader gesprächsbereit, sobald er von der Leidenschaft seines Gegenübers für die Literatur Wind bekam. Zwischen Freunden der Literatur gab es für Thomas Bader offenbar keine Standesdünkel.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es nicht jeder zu einer persönlichen Begegnung mit Thomas Bader brachte, weil mancher sich gar nicht erst über die Schwelle des Geschäfts in der Salzstraße traute. „[I]ch habe 9 Jahre lang in Freiburg studiert und war kein einziges Mal in der Buchhandlung zum Wetzstein, weil sie von außen so einschüchternd-snobby aussah“, berichtete etwa die Suhrkamp-Mitarbeiterin Dorothea Studthoff vor einiger Zeit auf Twitter.
Es stimmt womöglich, was ein anderer Kunde in einem Gespräch über das alte Geschäft sagte: „Entschieden männlich“ sei es gewesen, mit seinem vorherrschenden Dunkelbraun, mit seinem Rotwein und den stets vorrätigen Spirituosen, die auserwählte Stammkunden von Zeit zu Zeit „im Hinterzimmer der Buchhandlung“ serviert bekamen, wie der Regisseur Gerd Heinz in seinem Beitrag zum Bändchen Abschied zu berichten weiß.
Und mancher, der sich traute, befürchtete weiterhin, den hohen Ansprüchen des Buchhändlers nicht gerecht werden zu können. So erzählte der Pfarrer Arno Zahlauer bei der Trauerfeier im Münster davon, wie er einmal Thomas Bader beichten musste, Jane Austen noch nicht gelesen zu haben, als dieser ihm einen Roman mit Anspielungen auf das Werk der Autorin empfahl. Doch statt eines strafenden Blickes – der durchaus vorkommen konnte, wenn man ‚das falsche Buch‘ bei ihm bestellen wollte –, geschah Folgendes: „Thomas Baders Gesicht veränderte sich, er begann zu lächeln, zu strahlen gar und meinte: ‚Da haben Sie allen Grund zur Freude, wer Jane Austen noch nicht kennt, dem steht eine wunderbare Erfahrung bevor“.
Wer sich traute, wurde also belohnt. Gleichwohl ist es ein Anliegen des wiedereröffneten Wetzstein, die Schwellenangst abzubauen. Die Türen der Buchhandlung stehen jeder Freundin und jedem Freund der Literatur weit offen. Dies drückt sich auch in der neuen Gestaltung aus: Die Räume sind heller, es gibt keine Bücher hinter Glas mehr und zu den vielen schönen, gebundenen Ausgaben treten Taschenbücher aus der Reclam Universalbibliothek, den Kein & Aber Pockets, der edition suhrkamp und anderen mehr hinzu. Dies verstehen wir als eine zeitgemäße Weiterentwicklung von Thomas Baders Ansprüchen an Ästhetik, denen alle genannten Reihen in hohem Maße entsprechen.
Neben seinem Sinn für Ästhetik zeichnete Bader ein wahres Elefantengedächtnis aus, von dem seine Kunden profitierten. „Er wusste genau, was der Kunde liest und was er sich wünscht. Ich konnte mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen“, berichtet Helene Grünwald, pensionierte Lehrerin und langjährige Wetzstein-Kundin. Wenn Sie in den Wetzstein kam, stand bereits ein „Stößchen“ bereit „mit den Büchern, von denen er meinte, dass ich sie haben wolle“, berichtet sie. „Niemals lag er daneben, im Gegenteil: Er hat mich immer auf Autoren aufmerksam gemacht, die noch nicht kannte – etwa W. G. Sebald. Durch Herrn Bader bin ich zu diesem wunderbaren Autor gekommen.“
„Er war ein Mensch, der sehr gern Freude spendete“, erzählt Helene Grünwald weiter und berichtet dazu eine in der Tat außergewöhnliche Anekdote: Vor etlichen Jahren gab es im Wetzstein eine besonders schöne, jedoch kostspielige Goethe-Ausgabe, die es der Kundin angetan hatte. Sie wollte sie gerne kaufen, konnte sie sich aber nicht auf einmal leisten. In solchen Momenten zeigte Thomas Bader seine viel beschworene Großherzigkeit. „Er sagte, ‚nehmen Sie sie mit und bezahlen Sie sie so, wie es Ihnen möglich ist‘.“
Was bleibt? Ein Vermächtnis und eine Aufgabe. Am schönsten hat es Arno Zahlauer auf der Trauerfeier von Thomas Bader im Freiburger Münster gesagt: „Die Spuren, die er gelegt hat, sind zahlreich und enthalten so viele buchhändlerische und ästhetische Impulse, dass es der Buchhandlung zum Wetzstein im schmiegsamen Achten auf Tradition und Moderne an Arbeit nicht mangeln wird.“
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Zum Weiterlesen:
Rainer Moritz / Reto Guntli: Die schönsten Buchhandlungen Europas
Gerstenberg 2013
200 Seiten / 24,95 Euro
Nur noch antiquarisch erhältlich
Fotos: Wetzstein