Born to be wild – Peter Karoshi: Zu den Elefanten

Von Britta Mathéus

Ein tief in der Midlifecrisis steckender Wissenschaftler und sein neunjähriger Sohn machen spontan eine Rucksackreise auf den Spuren Kaiser Maximilians II. und des Elefanten Soleiman. Der klägliche Versuch, seiner kriselnden Beziehung zu entkommen, entgleist erwartungsgemäß völlig und wird zu einer wirren Selbstfindungsreise. Ein wilder Ritt mit vielen Ideen, aber auch vielen losen Enden.

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Ein Mann kreist um sich selbst. Der Protagonist Theo steht auf der Terrasse des gerade bezogenen Sommerferienhauses, beobachtet eine Bachstelze und alles, was er aus ihrem Verhalten ziehen kann, sind Rückschlüsse auf sich selbst. Gerade zu Beginn ist das Mitleid, das er für sein im drögen Alltag zwischen Kindererziehung, Job und eingeschlafener Ehe gefangenes Ich empfindet, geradezu unerträglich. Anstrengend und langweilig zugleich – so fühlt es sich an, wenn die Wahrnehmung eingeschränkt, der Zugriff auf die Welt, die einen umgibt, nicht mehr gegeben ist, man tief gefangen ist in der Depression. Es ist gleichermaßen eindrücklich wie lästig zu lesen, und in dieser Kombination schon auch faszinierend.

Die Tagebuchform der vorliegenden Novelle liefert, was sie verspricht – viele unzusammenhängende Gedanken und wahllos aneinandergereihte Eindrücke, von denen man zu Beginn hofft, dass sie sich irgendwann im Laufe der Erzählung zusammenfügen werden, denn immerhin ist dies kein echtes Tagebuch, sondern ein veröffentlichtes Buch, von dem man eine gewisse Konzeptionsidee erwarten kann.

Als Vater und Sohn also auf ihre nur rudimentär geplante Reise aufbrechen, tun sich schnell die ersten Hindernisse auf. Sie geraten in einen Zug voller Geflüchteter, die aus Österreich auf die andere Seite der deutsch-österreichischen Grenze gebracht werden sollen. Plötzlich ist der Protagonist mit seinem eigenen Fremdsein konfrontiert und sieht von dort an überall nur noch Abweisung und Skepsis in den ihn umgebenden Gesichtern und fühlt sich umso weniger zugehörig, je länger die Reise dauert. Der Vater ist planlos, der Sohn ungeduldig, und an einem Morgen ist der Sohn fort.

Es ist einigermaßen erschütternd, mitzuverfolgen, wie sehr Theo mit sich selbst beschäftigt ist, sodass es ihm auch in dieser Situation nicht gelingen mag, die eigenen Themen zugunsten der Verantwortungsübernahme für seinen Sohn zu überwinden. Vielmehr profitiert er von dessen Abwesenheit, indem die Reise für ihn nun, wo er allein unterwegs ist, erst wirklich an Bedeutung gewinnt.

Was nun folgt, ist ein wenig fruchtbarer Versuch der Reise zu sich selbst. Die Erkenntnisse, die Theo über sein eigenes Dasein, seine Familienbeziehungen und seinen Zugehörigkeitsstatus innerhalb der Gesellschaft gewinnt, bleiben größtenteils bei wenig inspirierten Allgemeinplätzen stehen, werden unterbrochen von skurrilen Begegnungen, von denen man nicht genau weiß, ob sie nun tatsächlich passieren oder der Protagonist zunehmend verwirrt ist. Durch seine spontan ins Leben gerufene Facebookseite, die den Verlauf der Reise dokumentieren soll, plötzlich gehyped und irgendwie bekannt geworden, stolpert Theo von einer gefährlichen, waghalsigen Situation in die nächste, bis, vereinfacht gesagt, am Ende der Sohn wieder da und alles wieder gut ist.

Die vorliegende Novelle, die 2021 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises zu finden war, streift vieles, bringt aber auch vieles nicht zu Ende. Man wird beim Lesen den Eindruck nicht los, dass zu viele Themen zugleich angesprochen werden, als dass sie auf befriedigende Art und Weise behandelt werden könnten. Depressionen, Herkunft, Fremdsein im eigenen Land, Ehekrise und Vaterrolle, zu vieles beschäftigt Theo, oder es beschäftigt ihn auch wieder nicht, denn ein Verwirrspiel aus Wahrnehmungsverzerrungen, unrealistischen Zeitangaben, und unberechenbaren Situationsentgleisungen lenken ihn und den Leser ausreichend ab, um sich lieber nicht mehr mit den großen Themen zu befassen. Man kann diese Tatsache dem Buch positiv auslegen – so ist nun mal das Leben. In den seltensten Fällen kommen die Menschen in ihrem Ringen um Sinn und Bedeutung zu einer befriedigenden Antwort und zumeist gerät der Strudel des Lebens in die Quere, blockiert die Sicht auf die Dinge, lenkt ab, tröstet auch. Doch genau so gut lässt sich dann die Frage stellen: Warum dann lesen, wenn man daraus nichts Neues erfährt? Wenn sich das Buch nicht abhebt von dem oberflächlichen Geplänkel der Realität?

Ist der Verlauf der Reise auch spannend zu verfolgen, so erinnert Zu den Elefanten in seiner surrealistischen, traumartigen Szenerie doch stark an eine abgewandelte Version der Schachnovelle, der es leider nicht gelingt, mit dem fantastischen Original mitzuhalten. Was zurückbleibt, ist ein ambivalenter Eindruck: Die Lektüre hat schon einen großen Unterhaltungswert, und doch ist sie nicht befriedigend.

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Peter Karoshi: Zu den Elefanten
Leykam 2021
208 Seiten / 21 Euro

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Foto: sasint / pixabay.com

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