Der bessere Kandidat – Susanne Gaschke: Robert Habeck

Von Johannes Schaefer

Was wäre, wenn? Diese Frage treibt nicht nur die Union und das „Team Söder“ um, auch bei den Grünen hadern einige mit dem Wahlergebnis. Neben dem historisch schlechtesten Ergebnis der Union gingen die historisch besten, aber enttäuschend schlechten 14,8 Prozentpunkte der Grünen unter. Denn die Union war bereits in der präpandemischen Phase zu einer 26%-Partei abgerutscht, die Grünen aber lagen seit Oktober 2018 in den Umfragen kontinuierlich und teils deutlich vor der SPD, zwischen Europawahl und Pandemiebeginn waren sie konstant über 20 Prozentpunkten. Ihr Absturz begann als die Spitzenkandidatin Annalena Baerbock zuerst nicht gemeldete Nebeneinkünfte und dann Fehler in ihrem Buch eingestehen musste. Bereits im Juni entbrannte die Frage: Wäre Habeck nicht doch der bessere Kandidat gewesen?

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Susanne Gaschke stellt ihrer „politischen” Habeck-Biografie genau diese Frage voran. Die langjährige Zeit-Redakteurin war von Oktober 2012 bis Oktober 2013 knapp ein Jahr sozialdemokratische Oberbürgermeisterin der Stadt Kiel. Im Zuge eines Steuerskandals, dessen Ursprünge aber vor ihrer Amtszeit lagen, gab sie das Amt auf. Im Mai 2020 trat sie mit einer bitterbösen, auch persönlichen Abrechnung in der Welt aus der SPD aus. Gaschke kann maliziös abrechnen und sie weiß wohl auch, dass sie es kann. Nüchtern im Urteil wirkt sie dabei nicht immer. 

Nun legt sie eine nicht autorisierte „politische Biografie” zu Robert Habeck vor, mit dem sie einiges gemeinsam hat – beide stammen aus Schleswig-Holstein, beide haben erst im zweiten Leben Politik gemacht –, von dem sie aber nicht zuletzt die Parteizugehörigkeit unterscheidet. Gaschkes Sujet ist kein unbeschriebenes Blatt. Es gibt eine Autobiografie und mindestens zwei weitere Biografien, vor allem aber unzählige Zeitungsartikel und Medienberichte zu Robert Habeck. 

Gaschke geht chronologisch vor. Oft streut sie kleine, teils persönliche Anekdoten ein und versucht darüber der Persönlichkeit Robert Habeck näherzukommen. Ihr Vorgehen ist dabei stark an die klassischen Politikerporträts wie etwa das jüngst erschienene, vorzüglich unterhaltsame Porträt Karl-Josef Laumanns in der Zeit, angelehnt. Sie beschreibt Habeck als äußerst intelligenten, redegewandten, bisweilen zur Arroganz neigenden Menschen, der gleichwohl gelernt hat, letztere Eigenschaft hinter einer Fassade von Freundlichkeit zu verbergen. Der Machtmensch Habeck versteht es laut Gaschke seine innerparteilichen Gegner durch seine vermutete Stärke einzuschüchtern. Konkurriert er mit jemand anderem um einen Posten, versucht er die andere Person auf subtile Weise zum Rückzug zu zwingen. Habecks Masche: Den Konkurrenten frühzeitig informieren und mit der Wahl konfrontieren, entweder anzutreten oder dem Supertalent aus der eigenen Partei mit den ohnehin besseren Chancen den Platz zu räumen.

Im Vergleich zu anderen Politikerbiografien, zum Beispiel der Spahn-Biografie von Michael Bröcker, bleibt das Buch leider zurück. Nicht weil es Susanne Gaschke an sprachlicher oder analytischer Schärfe mangelt, keinesfalls. Vielmehr fehlt es an Details und Hintergrundinformationen. Habecks Kindheit findet in dem Buch praktisch nicht statt, seine Schulzeit scheint sich auf die Oberstufe zu beschränken. Nach dem Abi folgt das Interrail – auf etwas über zwei Seiten –, dann der Zivildienst, der nicht einmal eine Seite erhält. Im Handumdrehen ist Habeck im Studium in Freiburg, trifft seine spätere Frau, promoviert, all das auf kaum drei Seiten. Dabei sind diese zehn Jahre – die Adoleszenz – eine Zeit, die uns prägt wie keine zweite. 

Wer jetzt einwendet, in einer „politischen Biografie” – so der Untertitel des Buchs –, hätten solche Dinge nichts verloren, sitzt einem Irrtum auf. Den politischen Menschen Robert Habeck einzig aus seiner politisch aktiven Zeit erklären zu wollen, kann nicht vollumfänglich gelingen und tatsächlich tut es das auch nicht. Irgendwie bleiben auch nach der Lektüre der Politiker und der Mensch Robert Habeck fremd, ebenso wie seine Gedankenwelt im Dunklen bleibt. 

Wohl in seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender im schleswig-holsteinischen Landtag entwickelte Habeck die Idee, die Grünen stärker in die Mitte zu rücken und sie anschlussfähiger ans bürgerliche Lager zu machen. Zumindest schreibt das Gaschke an. Aber die näheren Umstände, der genaue Prozess sind ihr entweder nicht bekannt oder sie erachtet es als nicht wichtig genug. Wahrscheinlich war Vieles in Habeck bereits angelegt und die Wurzeln sind in seiner Kindheit und Jugend zu suchen. Diese Kritik soll das insgesamt gelungene Werk nicht schmälern, aber den Schlusspunkt in der Habeck-Exegese setzt Gaschke hiermit auf gar keinen Fall. Dazu fehlt es einfach an Tiefe und Hintergrundinformationen, auch zu seinem engeren Arbeitsumfeld.

Wäre Habeck nun der bessere Kandidat gewesen? Baerbocks Fans werden das naturgemäß verneinen. Aber sollte sie sich wirklich mit dem Verweis auf ihr Geschlecht gegen Habeck durchgesetzt haben, wie Gaschke und auch Habeck selbst es andeuten, hätte Annalena Baerbock der Sache der Frauen einen Bärendienst erwiesen. Denn wenn dies ihr einziges Argument war, waren wohl alle anderen auf seiner Seite. 

Objektiv sprach viel für ihn und Gaschke stellt das deutlich heraus: Baerbock ist die – nicht böse gemeint – langweiligere Politikerin, mit dem klassischen Dreischritt aus Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal; er der Unkonventionelle, der im ersten Leben erfolgreicher Autor war, dann in die Politik einsteigt. Sie schrieb kurz vor der Wahl noch schnell ein Buch, das sie dann zurückziehen musste. Er ist Autor mehrerer Romane und Sachbücher, hat sich also schon jahrelang publizistisch betätigt. Plagiatsvorwürfe gab es nie. Sie ist eine konventionelle Rednerin, beschränkt sich oft auf das Ablesen des Manuskripts – kein Vorwurf, das tun fast alle –, aber neben ihm, der gerne freispricht und sein Publikum auch damit zu begeistern weiß, sieht sie in dieser Disziplin ebenfalls schlecht aus. Sie hat hervorragende Werte bei den eigenen Anhängern, die sowieso grün wählen, er hat sehr gute Werte auch bei Anhängern der FDP und CDU. Wähler, die die Grünen gebraucht hätten, um über die 20 Prozentpunkte zu kommen.

Doch Habeck hat auch Schwächen, die Susanne Gaschke ebenfalls pointiert herausarbeitet. Unvergessen bleibt ein Interview mit ihm zum Klimapaket der Groko, bei der er die Pendlerpauschale zunächst kritisierte und dann zugeben muss, dass er sie nicht verstanden hatte. Gaschke spart diese Seiten von Habeck nicht aus, im Gegenteil. Hier ist das Buch zu loben, das eben nicht in Lobhudelei verfällt, sondern die kritische Distanz immer wahrt.  

Nun wird Habeck Bundesminister für Wirtschaft und Klima. Die Bundesrepublik darf sich freuen. Sie bekommt wohl einen aus schleswig-holsteinischen Tagen mit dem Thema teilweise bereits vertrauten, grundsätzlich amtserfahrenen, als fleißig und ansprechbar geltenden Minister. Die Herausforderungen könnten größer nicht sein. Die deutsche Wirtschaft muss zwei große Transformationen meistern, Klimawandel und Digitalisierung. Beide können nur im Miteinander bewältigt werden. Eine Aufgabe wie gemacht für Robert Habeck, der schon in der Vergangenheit Gegensätzliches zusammenführen konnte. Er kann nun zeigen, was in ihm steckt, wird es aber in dieser Konstellation schwerhaben. Spannungen mit dem Bundesminister der Finanzen sind jedenfalls vorprogrammiert. 

Wer dem Politiker Robert Habeck etwas näherkommen möchte, kann bei der Biografie von Susanne Gaschke bedenkenlos zugreifen, darf aber nicht erwarten danach ein umfassendes Bild besitzen.  Zum Kennenlernen und zur unterhaltsamen Lektüre eignet es sich aber definitiv.

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Susanne Gaschke: Robert Habeck. Eine politische Biografie 
Heyne 2021
192 Seiten / 16 Euro

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Foto: weldert / pixabay.com

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