Die Metaphysik einer Familie – Elke Schmitter: Inneres Wetter

Von Anna-Lena Deckers

Drei erwachsene Kinder um die 50, ihr Vater, der auf seinen 77. Geburtstag zusteuert und die Schwiegertochter – sie bilden die Grundlage von Elke Schmitters Roman Inneres Wetter, der sich dem facettenreichen und schwer fassbaren Beziehungsgeflecht einer bürgerlichen Akademikerfamilie widmet.

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In ruhiger, gelassener Art und Weise beschreibt Schmitter das stete Arbeiten am eigenen Leben, das Hinterfragen des eigenen Daseins und das Suchen des eigenen Lebensweges ihrer insgesamt fünf Figuren. Diese sind der verwitwete, fast 77-jährige Georg Kupfer, seine drei erwachsenen Kinder Huberta, Bettina und Sebastian sowie ein Schwager und eine Schwägerin.

Dreh- und Angelpunkt des Ganzen – so könnte man als Leser zumindest meinen – ist der 77. Geburtstags von Georg, zu dem seine drei Kinder einen Überraschungsbesuch planen. Dieser bleibt jedoch nicht lange eine Überraschung – wie das in Familien so ist – was die vielschichtige Problematik der einzelnen Beziehungen zwischen Vater und Kindern illustriert. 

Tatsächlich ereignet sich der Geburtstag erst erstaunlich spät im Verlauf des Romans: Auf den letzten 30 von insgesamt 200 Seiten wird das Zusammentreffen der Geschwister und ihrer Partner (Huberta ist in Begleitung ihres Hundes) mit dem Vater beschrieben. Ein Abend, den man auch als Leser nicht unbelastet verfolgen kann – zu viel hat man bereits über die Figuren, ihre Gedanken und Gefühle sowie ihre inneren und äußeren Konflikte erfahren. 

Die vorherigen Seiten beschreiben einen Tag im Frühling, zwei Tage im Sommer und drei Tage im Herbst, an denen jedes der drei Kinder, die Frau von Sebastian und der Vater auf ihr Leben blicken und sich Fragen stellen wie: Was hält die Familie zusammen? Woran bemisst sich ein gelungenes Leben?

Auf gleichsam unaufgeregte und dennoch sehr komplexe Art und Weise schildert Schmitter Gedankengänge, innere Monologe und Gefühlslagen der Figuren. Dem Leser verlangt dies einiges an Konzentration und Empathie ab. Schmitter beschreibt dabei zwar schöne Gedanken über und von ihren Figuren und erlaubt dem Leser somit neue Blickwinkel auf das Leben an sich einzunehmen. Die dazu genutzte Sprache, lässt das soeben Gelesene aber eher komplex und „zu hoch“ erscheinen. Ausdrücke wie „somnambules Schweigen“ oder der „fischbeinige Schwager“ lassen den Leser ähnlich ratlos zurück wie die sich durch den ganzen Roman ziehenden Metaphorik der Metaphysik. So beschreibt sie die „pragmatische Umformung des Unaufgelösten“, als Sebastians Strategie, mit Problemen, Ängsten oder psychischem Unbehagen umzugehen, deren Lösung nicht unmittelbar bevorsteht. Eine Strategie, die das Ziel verfolgt ein anderer zu werden, “dem die beklommene Ratlosigkeit oder Gereiztheit Stunden zuvor wie eine innere Wetterlage erschien, die nun eben verändert war, rückstandslos aufgelöst“. 

Der Vater, Georg, wiederum nimmt seine Tochter Bettina als „ein rätselhaftes, metaphysisches Geschenk“ wahr, die für ihn „die größte Unwahrscheinlichkeit in dieser Kette aus Ängstlichkeit und Schwermut“ darstellt, wie er seine Familie bezeichnet. 

Warum Schmitter diese immer wieder auftauchende Metaphorik wählt, bleibt ein Rätsel – vielleicht um das Unerklärliche dennoch irgendwie zu erklären und ihm eine gewisse Daseinsberechtigung zu geben. 

Regelmäßig wechselnd nimmt Schmitter die Perspektive der verschiedenen Figuren ein und beschreibt die miteinander verwobenen Lebenswege aus verschiedensten Blickwinkeln. Allerdings gewinnt man beim Lesen kaum den Eindruck, dass tatsächlich eine Änderung der Perspektive oder Blickwinkel stattfindet. Sprache und Duktus der Figuren ähneln sich sehr und was bleibt, ist eine gewisse Ratlosigkeit, worauf die Autorin eigentlich hinaus will. Letztlich ist es der fast 77 jährige Georg, der die Frage nach der Bemessung eines gelungenen Lebens beantwortet: „Die Infrastruktur muss funktionieren (…), Biografien nicht“. Leider funktioniert die Infrastruktur des Romans selbst nicht und es bleibt der vage Eindruck, dass all diese Figuren doch eher Teilchen darstellen, die zusammen ein großes – leider nebulöses – Ganzes ergeben. 

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Elke Schmitter: Inneres Wetter
C. H. Beck 2021
202 Seiten / 22 Euro

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Foto: MichaelGaida / pixabay.com

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