„Unsere Köpfe würden eine schöne Trophäe abgeben, wenn nicht sogar eine begehrte“, schrieb der U.S. Amerikaner Fritz Up de Graff über sein Zusammentreffen mit Jívaro-Kriegern im Jahr 1894 in Ecuador. Spätestens seit seinem Reisebericht, in dem sich Fiktion und stereotype Zuschreibung mit tatsächlich Erlebtem vermischen, geistern Schrumpfköpfe durch die Literatur. Jan Koneffke macht sie nicht nur zum Gegenstand der Erzählung, sondern zum Erzähler selbst: In ‚Die Tsantsa-Memoiren‘ berichtet der Schrumpfkopf Tato in vier Teilen von seinem langen „Leben“.
„Das ist jetzt unser Land, ihr Sumpfgeburten.“– Franzobel: Die Entdeckung Amerikas
Es gibt das bunte Programm, das anspruchsvolle Programm, und dann gibt es noch das „übliche Programm“. In Franzobels historischem Roman zur ersten Nordamerikaexpedition bedeutet das: Indigene bekehren, Indigene schlachten, durch Sumpfwälder stapfen. Tag um Tag, Seite um Seite – wie eintönig! Kann Fabulierlust und Sprachspiel diese Monotonie aufbrechen?
Vom Glück im Alltäglichen – Peter Rosei: Das Märchen vom Glück
Peter Rosei erzählt ‚Das Märchen vom Glück‘. Es überrascht mit hektischen Wechseln der Erzählperspektive und einer viel zu wirklichen Melancholie. Am Ende der Geschichte bleibt eine Leere zurück, die fragen lässt: War das schon alles?
Eine Götterdämmerung – Christoph Ransmayr: Der Fallmeister
Wer eine düstere Dystopie genießen möchte, kommt am ‚Fallmeister‘ nicht vorbei. Wer das Wesen der Gewalt ergründen will, der bleibe besser in den Twitter-Kommentarspalten. Ransmayrs ‚Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten‘ berichtet von Mord und Vergebung und verliert sich dabei in seiner eigenen Erzählung.
Mit Beyoncé ins Verderben – Eva Munz: Oder sind es Sterne
Auf der Suche nach Sinn, Identität und Vergebung kreuzen sich am Beginn des 21. Jahrhunderts die Lebenslinien dreier Männer, die zunächst geografisch voneinander entfernt, deren Existenzen jedoch eng miteinander verflochten sind. In ihrem ersten Roman fusioniert die Autorin Eva Munz drei Erzählperspektiven zu einem gemeinsamen Narrativ unter dem Eindruck weltpolitischer Enttäuschungen.
Familiendemo – Katrin Seddig: Sicherheitszone
„Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu“: Wer kennt das Zitat Ödon von Horvaths nicht auch von Postkarten, Sprüche-Kalendern und T-Shirts und hat beim Lesen vielleicht leise gelächelt. Keiner der Charaktere in Katrin Seddigs G20-Roman ‚Sicherheitszone‘ würde solch ein Shirt in der Öffentlichkeit tragen. Von Horvaths Worte scheinen ihnen aber auf die Bretter vor ihren Köpfen geschrieben zu sein. So wie vermutlich den meisten von uns.
Interview: Literatur als Einmischung und Eroticum
Hubert Klöpfer arbeitet seit über vierzig Jahren im Literaturbetrieb. Nachdem der traditionsreiche Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer im Sommer 2020 in die Insolvenz gehen musste, hat der Verleger nun für sich und seine Autorinnen und Autoren eine neue Heimat gefunden: Im Stuttgarter Kröner-Verlag ist er zukünftig für die ‚Edition Hubert Klöpfer‘ verantwortlich, die in diesem Frühjahr zum ersten Mal ein Programm mit zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur vorlegt. Mit Aufklappen hat Hubert Klöpfer über das Wagnis des Verlegens, die dafür notwendige Naivität und seine ungebrochene Lust an der Literatur gesprochen.
Diese sehr ernste Inszenierung – Christian Kracht: Eurotrash
Alle reden über Kracht. Reden sie über einen Bluff? Kracht selbst wirft diese Frage in ‚Eurotrash‘ auf. Er stellt zur Disposition, ob der Schriftsteller mit dem Namen Christian Kracht überhaupt je etwas von Wert gesagt, geschweige denn zu Papier gebracht habe. Um über sich selbst und seine Herkunft Klarheit zu gewinnen, schnappt er sich seine Mutter und lässt sich von ihr auf einer Reise durch die Schweiz permanent für seine Nichtsnutzigkeit beschimpfen. ‚Eurotrash‘ ist wie alle Romane von Christian Kracht ein eigenartiges Buch.
Noch ein Klischee gefällig? – Sophie Passmann: Komplett Gänsehaut
„Einmal Inventur im ganzen Leben” betreiben, nimmt sich Sophie Passmann mit ihrem neuen Buch vor. Entstanden ist aus dem radikalen Vorhaben eher eine bunte Sammlung von manchmal wenig originellen Anekdoten und Beobachtungen.
„Menschgemansche“ – Olga Flor: Morituri
Über die Todgeweihten schreibt Olga Flor in ihrem heute erscheinenden Roman. Dabei begibt sich die Autorin nicht in die Antike, sondern bleibt im gegenwärtigen Österreich irgendwo auf dem Land in einem Dorf, neben dem ein Moor liegt. Im Zentrum der Geschichte steht der stadtflüchtige Maximilian, der sich auch nicht ganz so sicher ist, ob das Landleben ihn in seiner Einsamkeit nun glücklicher macht. Um ihn herum gruppiert sich eine Reihe von Dorfpersönlichkeiten. In ‚Morituri‘ webt Olga Flor die unterschiedlichen Figuren in einen Dorfalltag zusammen. Sie eint, dass sie alle unwissend ihrem Ende entgegenlaufen.