Schuld und Enkelsöhne – Michael Köhlmeier: Frankie

Von Pascal Mathéus

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Als Frank zur Welt kam, saß sein Großvater bereits vier Jahre. Vierzehn Jahre später wird er aus dem Gefängnis entlassen. Franks Begegnung mit ihm ändert alles. Michael Köhlmeier hat einen faszinierenden Roman über Schuld, Verantwortung und den freien Willen geschrieben. Sein Held: der merkwürdigste 14-Jährige der Welt.

Franks Welt schien in Ordnung. Seine Mutter und er lebten zusammen in einer schlecht geschnittenen Wohnung in der Nähe des Naschmarktes in Wien und waren sich selbst genug. Schräg wurde es, als sie seinen Großvater, ihren Vater, aus dem Gefängnis abholten. Und da setzt der Roman ein. 

Programmatisch spart der Roman die Motive seiner Figuren aus, weil es ihm genau um die Frage nach ihrer Erkennbarkeit geht. Franks Großvater und er interessieren sich trotz der Warnungen der Mutter füreinander. Obwohl Frank sich zunächst sicher ist, nichts von der Vergangenheit seines Opas wissen zu wollen, verstrickt ihn dieser in seine Geschichte und lässt ihn teilhaben an den Erfahrungen aus dem Knast, wo bekanntlich viel Zeit zum Nachdenken ist.

Gezeigt wird, wie der Jugendliche sich trotz seiner Reflektiertheit und trotz stabiler Verhältnisse gegen den Einfluss seines Großvaters nicht wehren kann. Doch auch die Motivation des Großvaters bleibt unklar. Ohne erkennbare Absicht manipuliert er seinen Enkel und zieht ihn hinein in seine Welt, was sich zu einem gemeinsamen Abenteuer der unangenehmen Art auswächst. 

Frank, aus dessen Perspektive das alles erzählt wird, hat Köhlmeier eine wunderbare Sprache verliehen. Sie ist eine Mischung aus lässiger vierzehnjähriger Nonchalance und peinlichster Genauigkeit in den Formulierungen. Sie zeichnet sich aus durch höchste Aufmerksamkeit für die Bedeutungen kleinster Gesten und die Deutung unausgesprochener, komplexer Gedankengänge auf der einen und herrlicher jugendlicher Naivität auf der anderen Seite. Eine solche Erzählfigur ist in der Literatur der Gegenwart ziemlich einzigartig. Frank ist abgeklärt und ahnungslos zugleich. Zwischen diesen Polen schwingt der Roman, darin liegt seine Spannung begründet. 

Mit der Frage nach der Feststellbarkeit von Schuld und Verantwortung gleicht das Interesse des Romans dem der Bücher von Ferdinand von Schirach. Anders als der scharfsinnige Jurist Schirach verwendet der geborene Erzähler Köhlmeier eine phantasievollere und lebendigere Sprache. Er hat erkennbare Freude an der literarischen Camouflage. Gleichwohl kommt er mit seinem spielerischen Ernst den Phänomenen nicht weniger nah als der ernste Schirach. Mancher Leser wird mehr Freude mit Köhlmeier haben.

Frankie ist ein leichtfüßig daherkommender, unterhaltsamer Roman mit einem ernsten Kern. Die einzigartige Erzählmelodie von Frank zieht den Leser in das Buch hinein und konfrontiert ihn mit Fragen, denen man sich nicht entziehen kann. Eine aufregende Lektüre.

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Michael Köhlmeier: Frankie
Hanser 2023
205 Seiten / 24 Euro

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Foto: Alexas_Fotos / pixabay.com

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