Kaleidoskop der Sprachbegegnungen – Rita Mielke: Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen

Von Stefanie Schien

Rita Mielke ist fasziniert von Sprachkontakten. In liebevoll illustrierten Kurzportraits schildert sie vielgestaltige Sprachbegegnungen vom Frühmittelalter bis in die Gegenwart und die Vielfalt von menschlichen Begegnungen, in denen diese eingebettet sind. Dabei teilt die Autorin charmant und eingängig ihre Neugierde und Leidenschaft für Sprache.

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Menschen haben schon immer mehr oder minder erfolgreich versucht, sich miteinander zu verständigen, wenn sie auf ihnen fremde Menschen getroffen sind. Ob sie nun Sprache zur Kommunikation nutzten oder Gesten und Pantomime zum Besten gaben, trotz anfänglicher Hilflosigkeit oder Missverständnisse, haben sie über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg Mittel und Wege gefunden, miteinander zu kommunizieren. Obwohl seit dem Zeitalter der wissenschaftlichen Entdeckungen und der kolonialen Expansion Sprachbegegnungen eine quantitativ wie qualitativ neue Dimension angenommen haben, wurden die begleitenden Umstände der Verständigung in den Geschichtsschreibungen, Biografien und Reiseberichten oft nur nebensächlich erwähnten – so die Feststellung der Autorin. Dem setzt die promovierte Literaturwissenschaftlerin mit Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen einen Band entgegen, der sich für ein breites Publikum zugänglich zeigt und ganz den Verständigungsschwierigkeiten, kreativen Lösungen und kommunikativen Pionier_innen widmet. 

Dazu hat sie reichlich Anschauungsmaterial zusammengetragen: Insgesamt bespricht sie 42 Beispiele für Sprachbegegnungen, die frühste aus der Regierungszeit von Karl dem Großen und die jüngsten von zeitgenössischen Autor_innen wie Galsan Tschinag, der nach einem Studium in Leipzig über sein Leben in der mongolischen Steppe heute auch auf Deutsch schreibt. Jedes Kapitel ist neben einer anregend erzählten Geschichte auch mit Fakten zur jeweilig thematisierten Sprache ausgestattet. Neben Sprecher_innenzahl, Verbreitungsgebiet oder Besonderheiten, gibt es auch Erläuterungen zu wechselseitig eingegangenen Lehnsworten. 

So kann man erfahren, dass es im Samoanischen das Wort kaisa, abgeleitet von „Kaiser“, gibt und dass der Begriff Avocado vom Nuathl (Sprache der Azteken und meistgesprochene Sprache in Nord- und Mittelamerika) stammt und „Hoden“ bedeutet. Abgesehen von diesen Einzelgeschichten stellt Mielke unter der Rubrik „Aus dem Linguarium“ durch die Beschreibung linguistischer Konzepte und Begrifflichkeiten auch immer wieder allgemeinere Zusammenhänge her. So beschreibt sie beispielweise mit Unserdeutsch die einzige auf dem Deutschen basierende Kreolsprache der Welt, die bis heute von Nachfahr_innen ehemaliger Missionschüler_innen auf Papua-Neuguinea als Muttersprache gesprochen wird.

Dieses Mosaik an Sprachbegegnungen und Kontaktpionier_innen zeigt aufgrund des historischen Fokus auf die lange Epoche kolonialer Expansion natürlich auch Parallelen. So spielen eben vor allem zentrale Akteur_innen dieser, wie Händler, Missionare, Kolonialbeamte und Forscher_innen als diejenigen, die von Europa aus in die Welt zogen, eine präsente Rolle. Andersrum lenkt Mielke aber auch den Blick auf Dolmetscher_innen, Unterhändler_innen und Gelehrte, die von ihren Herkunftsorten den Weg nach Europa oder in die USA fanden. Gleichzeitig erzeugt der Fokus auf die meist gewaltvolle Aneignung von Territorien und die einhergehende Unterdrückung lokaler Gesellschaften auch die Notwendigkeit, auf die strukturelle Gewalt von Kolonialismus und den Verlust von Lebensweisen und eben auch Sprachen aufmerksam zu machen. Auch diesem Umstand widmet sich die Autorin konsequent und sie versucht immer wieder auch die Handlungsmacht lokaler Gesellschaften sichtbar zu machen. So erläutert sie den Fall von Rudolph Manga Bell, einem politischen Oberhaupt der Duala aus Kamerun, der den kolonialen Führungsstil der Deutschen in Kamerun in gestochenem Deutsch anprangerte.

Gleichzeitig muten andere koloniale Dominanzbeziehungen eben doch etwas zu weichgezeichnet oder der Ton der Beschreibung der vermeintlich Anderen als unveränderte „uralte Kulturen“ als leicht romantisierend und essentialisierend an. Das mag auch der Kürze der einzelnen Beiträge geschuldet sein, den jedem Beispiel standen nur knappe vier Seiten zur Verfügung. Vermutlich ist dieser Kürze auch das Fehlen einzelner Literaturhinweise zu jeder Sprachbegegnung zuzurechnen; was überaus schade ist, denn gerade weil es Mielke gelingt, hier Interesse auf mehr zu wecken, müssen sich die Lesenden aus dem verhältnismäßig kurzen allgemeinen Literaturverzeichnis selbst die passenden Vertiefungen heraussuchen.

Insgesamt aber ist Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen ein kurzweiliges und vielfältiges Sachbuch, das wegen der gut recherchierten und liebevoll zusammengestellten Beispiele kombiniert mit ästhetischen Illustration überzeugt und Lust macht auf mehr Überlegungen zu Sprachen, deren Vielfalt und den Welten, die sich durch die Begegnungen mit diesen und ihren Sprecher_innen erschließen.

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Kaleidoskop der Sprachbegegnungen – Rita Mielke: Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen. Sprachbegegnungen im Zeitalter der Entdeckungen
Duden Verlag 2021
208 Seiten / 28 Euro

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Foto: BKD / pixabay.com

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