Kill Siegfried – Felicitas Hoppe: Die Nibelungen

Von Veit Lehmann

Ein Buch wie ein Pflichtseminar. In Felicitas Hoppes Die Nibelungen erfährt man zwar viel über Rezeption, Interpretation und Transformation der Heldensage, spürt aber nichts von ihrer eigentlichen Kraft, die die Menschen seit hunderten von Jahren in ihren Bann schlägt.

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Drei Metaebenen Abstand hat Felicitas Hoppe zwischen sich und das Heldenepos gebracht, bis sie es mit geschürzten postmodernen Lippen nachzuerzählen bereit ist: Eine zeitgenössische Inszenierung der Wormser Festspiele, eine süffisante Kommentatorin und dahinter, manchmal dazwischen der „echte“ Stoff, dessen Form zwar fluide ist, dessen Personifizierung aber den Namen „Goldene 13“ erhält – doch dazu später.

Die Sage neu zu erzählen, ist schwer, und wie die Nibelungen macht Hoppe keine Gefangenen. Wer nicht mit dem Stoff vertraut ist, der braucht hier und bei ihr nicht weiter zu lesen. Wie ein zerlegtes Uhrwerk liegt das Nibelungenlied auf den Papierbögen und ein jedes Teil hat sein Gegenteil. Wer das eine nicht kennt, findet das andere nimmermehr. Was reimt sich auf Nordsee? Das Schwarze Meer. Das Gegenteil von Worms? Esztergom. Name der kleinsten Kardinalzahl? Etzel. Wer solche Rätsel nicht mag, braucht übrigens auch nicht weiter zu lesen.

Eine Frau Kettelhut inszeniert die zeitgenössischen Wormser Festspiele und ihre Namensvetterschaft mit Fritz Langs Bühnenbildner Erich Kettelhut verweist auf den Untertitel des Romans „Ein deutscher Stummfilm“ – aber auch hier der Reihe nach.

In bester postmoderner Tradition tritt Siegfried eher klein und mit braunem Haar auf, sind Gunter, Gernot und Giselher im Kellnergewand gekleidet und der Tod ist ein Laie aus Worms – gesucht ist ein Schriftsteller mit fünf Buchstaben. Dass das enervierend ist, scheint auch die Kommentatorin zu finden, und sie bescheidet der Frau Kettelhut, nicht ganz PC, Theater nach „Hausfrauenart“ zu inszenieren.

Die Erzählerin ist nicht zu greifen. Mal scheint sie von den Rängen aus zu beobachten, mal sitzt sie auf der Bühne im Boot auf Rhein und Donau, und im zweiten Akt scheint sie selbst Teil nicht des Schauspiels, sondern der Sage zu sein. Die Figuren dekonstruieren sich hingegen selbst. Mit dem geschickten Werkzeug des Schauspielerinterviews lässt Hoppe die Darsteller über ihre Rollen philosophieren.

Rumolt der Koch ist zum Beispiel froh, dass er schon nach dem ersten Akt nach Hause gehen kann und erteilt nebenbei der nibelungischen Werktreue pauschal eine Absage. Kriemhild wiederum wehrt Gender-Interpretationen ab („Mann und Frau sind doch schon lange kein Thema mehr“), und Hagen widmet sich subtil der Blut-und-Boden Lesart („Obwohl ich in Wien studiert habe, ist mir die Donau bis heute fremd, wie der ganze Osten insgesamt“).

Nach Art eines Germanistikseminars werden hier Interpretationsansätze abgehandelt und mit dem vermengt, was die Süddeutsche „subjektive Assoziation“ genannt hat: Querverweise, die kühn und leider kalauernd Versatzstücke des kulturellen Gedächtnisses zu einer Montage kombinieren, die Produkte wie „Kriemhild-Deutschlands größte Superwitwe“ zum Ergebnis haben. Die literarischen Rätselfragen allesamt zu lösen, lohnt dann aber nicht, denn Hoppe hat schon im ersten Kapitel die eigentliche Triebfeder des Nibelungenliedes ausgemacht: den Schatz oder um es subjektiv assoziativ zu sagen, die Goldene 13. Liebe, Ehre, Treue, sie alle unterwerfen sich der Dramaturgie des bei Hoppe personifizierten Goldes. Dass Schlüsselszenen wie Siegfrieds Liebesbeichte in Kriemhilds Bett oder der selbstmörderische Untergang der Nibelungen an Etzels Hof dieser Lesart zuwiderlaufen wird nicht thematisiert.

In einem Roman, dessen Dramatik sich am Stummfilm orientiert, gibt es keine Charaktere, sondern nur Typen, die Handlungen abspielen, für die keine Dialoge notwendig wären. Um es salopp auszudrücken: Ein Drachentöter tut eben, was Drachentöter so tun. Dass Hoppe Quentin Tarantino im Abspann als Dramaturgen aufführt, passt zu diesem Verständnis des Nibelungenliedes als einem blutigen Dominoeffekt (und sichert geschickt die Aufmerksamkeit aller Rezensionen). Ironischerweise lässt die Lesart als archetypische Splattersaga das Nibelungenlied blutleer zurück. Wieso es noch lesen, wenn sämtliche Interpretationen bereits angerissen wurden und die Figuren ohnehin nur Statisten des Schatzes sind? Wir wünschten, dass wir auf dieses Rätsel auch eine Antwort hätten.

* * *

Felicitas Hoppe: Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm
S. Fischer 2021
256 Seiten / 22 Euro

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Foto: Jaymantri / pexels.com

3 Kommentare zu „Kill Siegfried – Felicitas Hoppe: Die Nibelungen

  1. Ich kann der Kritik und dem Eindruck des Romans nur zustimmen. In kürze zusammengefasst trifft der wohlgeformte Satz „Drei Metaebenen Abstand hat Felicitas Hoppe zwischen sich und das Heldenepos gebracht, bis sie es mit geschürzten postmodernen Lippen nachzuerzählen bereit ist“ es ziemlich gut auf den Punkt.

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  2. Das schrecklichste an dem Buch mE dass es sich noch nicht mal um den schwächsten der Buchpreis-Longlist-Kandidaten handelte. Null Handlungsbogen für die Hauptfigur, es ist wirklich größtenteils eine Reihung von wiederum größtenteils nicht mal neuen Ideen zum Nibelungenstoff, zum modernen Theater usw.
    Hab auch das Gefühl, dass man mit der Stummfilm-Dramaturgie dem Marketing auf den Leim geht. Film, grad sprachloser, ist derart gezwungen, in Bildern kraftvoll zu erzählen, dass er notwendig die Antithese dieses Romans werden müsste. Ein Stummfilm, monologisch wie dieses Buch, was wäre das? Keine Bilder, allein Zwischentitel?

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