Probleme sind nur dornige Chancen – Jakob Augstein: Strömung

Von Lisa Felicitas Baumgartner

Auch wenn Strömung das literarische Debüt von Jakob Augstein ist, handelt es sich bei ihm keinesfalls um einen Neuling im Literaturbetrieb: Als Verleger, Kolumnist, Journalist und Sachbuchautor hat er einen festen Platz innerhalb der deutschen Medienlandschaft. Für seinen ersten Roman wählt Augstein eine Charakterstudie mit satirischen Zügen: Strömung erzählt vom Aufstieg und Fall des Franz Xaver Misslinger, einem redegewandten und nach Macht strebenden Jungpolitiker, für den Probleme nur dornige Chancen sind. Dass dieser Ausspruch an Christian Lindner erinnert, ist kein Zufall: Misslingers gesamte Partei zeigt unübersehbare Parallelen zur FDP, auch wenn es sich nicht um einen Schlüsselroman handelt. 

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Franz Xaver Misslinger ist die Personifikation von BWL-Memes, ein Barbour-Jacken-tragender Charismatiker, der sich über seine Wähler*innen aus der Provinz lustig macht (und selbst nie gendern würde). Unter dem Decknamen Bruno Bolognese betrügt er seine Frau Selma und ist ein wenig zu stolz darauf, regelmäßig von weiblichen Fans angeschrieben zu werden. In Walter, einem debilen Ex-Politiker, hat Misslinger seinen Mentor und Förderer gefunden. Die Funktion von Walters Figur ist eine warnende, die zeigt, was mit den Personen passiert, die zu lange im Politikbetrieb tätig waren. Protegé Franz Xaver erkennt oder reflektiert dies jedoch nicht – für ihn ist Walter ein großes Vorbild, einer, der es geschafft hat und von dessen Netzwerk er profitieren kann. 

Franz Xaver sehr plakativ entgegengesetzt ist seine Tochter Luise: Generation Z, typische Stammkundin bei Urban Outfitters, geht auf Klimademos, findet ihren Vater oftmals peinlich. Zusammen reisen die beiden nach New York, Misslinger möchte Inspiration für eine Rede sammeln – und wo könnte das besser gelingen als im Mekka der Freiheit? Die Beziehung zu seiner Tochter, die sich eigenständig um einen Platz im Internat bemüht hat, um dem Elternhaus zu entkommen, ist angeschlagen. Anstatt sich aktiv um ein besseres Verhältnis zu Luise zu bemühen, chattet Misslinger jedoch lieber mit seiner neuesten Internetbekanntschaft Arta Demirovic oder hält selbstgefällige Monologe über seine Arbeit als Politiker. Getrübt wird die Reise auch von den Panikattacken, die Franz Xaver seit Längerem erleidet und gegen die seine Medikamente zunehmend wirkungsloser werden. 

So plakativ wie die Figurenkonzeptionen sind auch die sprechenden Namen: Freienwill etwa oder Glücksburg, der Ort, der einen chancenreichen Neuanfang für Ehefrau Selma verspricht. Und natürlich Misslinger selbst: Wenn Franz Xaver auf einem Parteitag wiederholt zum Besten gibt, dass das Scheitern bei ihm beim Namen aufhöre und der Saal dann erwartungsgemäß eskaliert, ist das großer Cringe und hat durchaus Unterhaltungspotenzial. Tiefgründiger als offensichtlich sprechende Namen wird es in Strömung aber selten. Poetisch anmutende Passagen über die menschliche Vergänglichkeit, präzise Landschaftsbeschreibungen und ein angenehm zu lesender Stil können die fehlende Botschaft und Spannung nicht aufwiegen.

Die Mischung aus Aufstieg und Fall, Politik und Macht ist eigentlich eine altbewährte, was zahlreiche Serien und Bücher wie House of Cards schon gezeigt haben. Bei Strömung funktioniert sie nicht, da zwei entscheidende Elemente fehlen: Die Nähe zum Protagonisten und das Identifikationspotenzial. Als Mann unserer Zeit wird Misslinger im Klappentext beschrieben, dennoch kann keinerlei Verbindung zwischen den Leser*innen und ihm entstehen. Und so ereilt ihn ein Schicksal, das für literarische Figuren und Politiker gleichsam fatal ist: Er driftet in die Gleichgültigkeit ab.

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Jakob Augstein: Strömung
Aufbau 2022
301 Seiten / 22 Euro

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Foto: 165106 / pixabay.com

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