Liberealkonservative Predigt aus dem Off – Kristina Schröder: FreiSinnig

Von Johannes Schaefer

Die frühere Bundesfamilienministerin hat ein Buch geschrieben. Es überzeugt weniger durch überraschende Inhalte als vielmehr durch seine pointierte Argumentation. Kein Muss, aber eine schöne Lektüre für politisch Interessierte und alle „Liberalkonservativen“.

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Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal – mit diesem klischeehaften Dreischritt ließ sich auch die Karriere von Kristina Schröder beschreiben. Geradezu musterhaft schaffte die 1977 geborene Schröder die Parteikarriere von der JU über eine Stelle bei einer Landtagsabgeordneten bis in den Bundestag. Nebenher studierte sie in Mainz und promovierte bei Jürgen W. Falter. Von 2009 bis 2013 war sie Bundesfamilienministerin. Sie bekam ihr erstes Kind im Amt und war ein Feindbild der linken Opposition. 2013 kündigte sie überraschend an, aus familiären Gründen nicht mehr ins Kabinett zu wollen. 2017 schied sie mit der gleichen Begründung nach 15 Jahren aus dem Deutschen Bundestag aus. Im Amt polarisierte sie unter anderem durch die Extremismusklausel: Initiativen, die sich gegen Extremismus einsetzen und Fördergelder aus den entsprechenden Programmen des BMFSFJ erhalten wollen, mussten sich zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bekennen. Sie stelle Initiativen gegen Rechtsextremismus unter den Generalverdacht des Linksextremismus, lautete der Vorwurf der Opposition damals. Unter ihrer Nachfolgerin Manuela Schwesig wurde die Klausel wieder abgeschafft.

Freund und Feind ihres neuen Buchs dürften damit von vorneherein feststehen. Dort hat sie eine Sammlung von Kolumnen und Essays überarbeitet und zusammengeführt. Das Buch – dem eine Eloge von Andreas Rödder auf die Autorin vorangestellt ist – hangelt sich von Thema zu Thema: von Kritik an der Corona-Politik, über Ganztagsschulen, Kritik am zeitgenössischen Feminismus und der Gender-Theorie, Debatten über Gleichheit und Gerechtigkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Islam und Migration, bis hin zur Bioethik.

Inhaltlich bleibt sie sich treu. Kristina Schröder steht für das, was man früher „liberalkonservativ“ nannte. Sie steht in der Pandemiebekämpfung eher bei Laschet als bei Söder, äußert sich pro Ganztagsmodelle, solange sie im Kern freiwillig bleiben, kritisiert die aus ihrer Sicht falsche Verengung auf Gleichstellung statt Gleichberechtigung in der Frauenpolitik, spricht sich gegen vermeintliche Auswüchse der Gender-Theorie aus, kritisiert das ihrer Meinung nach reformbedürftige System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Organisation und Struktur des Islams in der Bundesrepublik.

So weit, so erwartbar und es wäre furchtbar langweilig, wenn es nicht gleichzeitig gut wäre. Denn Schröder schreibt lebendig, ihre Argumentation ist auf den Punkt. Dadurch gelingt der wilde Ritt durch die Themen, obwohl die Zusammenhänge eher lose sind. Einzelne Teile des Buches stehen für sich.

Der Autorin nun ihre Positionen vorzuwerfen wäre einfallslos. Ein Jeder und eine Jede möge sich dazu eine eigene Meinung bilden. Reibungsfläche bietet Schröder mit ihren pointierten Texten genug. Lesenswert ist das Buch genau deswegen. Überspitzt: Wer anders denkt als die Autorin findet hier Möglichkeit sich gedanklich mit ihren Argumenten auseinandersetzen und zu prüfen, wo die eigene Logik Brüche und Schwächen aufweist. Wer genauso denkt, wie die Autorin wird Freude an dem klugen Vortrag der Ideen haben.

Der bisweilen intellektuell entkernt wirkenden Union sind mehr Kristina Schröders zu wünschen. Streitbar, intelligent, sachlich. Ob sie mit einer Rückkehr in die Politik liebäugelt? Mit diesem Buch führt sie ihrer Partei jedenfalls den eigenen Wert vor Augen. Zur Profilierung der CDU könnte sie sicherlich einen Beitrag leisten.

Zu denken geben müsste Schröder aber das Meinungsbild in den Umfragen: Die Mehrheit der Anhänger der Union stand in der Corona-Politik immer bei Söder, nie bei Laschet. Debatten ums Gendern mobilisieren kaum die eigenen Leute, wohl aber den Gegner. Träte die Union mit einem scharfen liberal-konservativen Programm an, käme sie kaum auf mehr als 15%. Denn die Realitäten im bürgerlichen Lager haben sich längst verschoben. Eine klassisch Liberalkonservative wie Kristina Schröder wirkt da aus der Zeit gefallen. Ob es die richtige Strategie für die Union ist, Kulturkampf gegen die Vergrünung der bürgerlichen Mitte zu führen? Kristina Schröder ist sich treu geblieben, aber die Wählerinnen und Wähler der Union haben sich verändert. 

Wer heutzutage eine liberalkonservative Politik machen will, muss erstmal eine moderne Sprache finden, um sie zu erklären. Die weitestgehend entpolitisierte Mitte der Gesellschaft ist dem Lagerdenken entwachsen. Um ihre Zustimmung zu gewinnen, braucht es nicht nur einen scharfen Verstand, sondern auch eine Erzählung. FreiSinnig könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein.

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Kristina Schröder: FreiSinnig. Politische Notizen zur Lage der Zukunft
Claudius 2021
150 Seiten / 18 Euro

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Foto: mat_hias / pixabay.com

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