Die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins oder Ein Halbes leben – Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens

Von Jascha Feldhaus

Terézia Moras neuer Roman Muna oder Die Hälfte des Lebens ist eine spannende Herausforderung für alle Leser und Leserinnen. In für sie ungewöhnlicher Weise präsentiert die Autorin hier in einen Text, dessen schonungsloses Erzählen die autobiographische Perspektive der Ich-Erzählerin nutzt, um das Erwachsenwerden einer jungen Frau zu portraitieren, die sich selbst in ihren Umständen gefangen hält und darüber hinaus kaum Freiheit in den eingeübten gesellschaftlichen Arrangements finden kann. Ein wenig naiv mag es einem vorkommen, aber ist es das wirklich?

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Mit Muna oder Die Hälfte des Lebens hat Terézia Mora einen Text geschaffen, der mithilfe einer subtilen Intensität sich in den Leser schleicht und dort für Unruhe sorgt. Die inszenierte Folie der Ich-Erzählerin weist keine Schwächen auf, besonders nicht beim Thema Liebe. Nach ihrem ersten Mal mit einem Mann, Magnus, verliebt sie sich in ebendiesen. Doch diese Liebe ist geprägt von Gewalt und Missbrauch, Muna verfängt sich darüber selbst in unerwiderten Gefühlen, steigert sich hinein bis zur Selbstaufgabe, um sich einreden zu können, dass es doch beiderseitige Liebe sei. Naivität könnte man schnell urteilen, aber das wäre zu einfach, es würde auch den Gesamtumstand der gesellschaftlichen Begebenheiten ignorieren. Denn diese sind nun einmal patriarchal geprägt, und Muna konnte kaum ein anderes Bild für sich entwickeln, da sie bereits sehr früh Verantwortung für ihre alkoholkranke Mutter übernehmen musste, die zuvor der verstorbene Vater getragen hatte. Die Abhängigkeit von Männern wird auch in ihrem weiteren Lebenslauf Bestand haben, einzelne sich zudem übergriffig verhalten aus ihrer Vorgesetztenposition heraus. Einen richtigen Empfang für Hilfe oder Warnungen hat Muna nicht, die Fürsorge von Frauen versteht sie nicht einmal.

Trotz dieser geballten Ladung an aktuellen Themen, die in zahlreichen Romanen verhandelt werden, schafft es die Autorin mit ihrem Text nicht offensiv moralisch zu sein. Sie bearbeitet die Themen so, dass sie langsam, fast unterschwellig hochkommen, bis sie so fest in die Situation eingeflochten sind und den Leser dann beengen. Diese Enge macht den Text intensiver, nochmal anders erfahrbar, so dass sich in einem wie ein Glutkern Regungen ausbreiten, die einer inneren Wut gleichen können.

Es ist nicht direkt Mitleid mit der Protagonistin, was für diese Unruhe, dieses Empfinden sorgt, sondern das rücksichtslose, übergriffige, gewaltvolle Handeln der Männer, speziell das von Magnus. Mitleid auch deswegen nicht, weil die Ich-Erzählerin – abgesehen von ihrer fatalen Liebe – mehr oder weniger fest im Leben steht, sie kann für sich sorgen, lässt sich nicht von vorgefertigten Meinungen anderer behelligen. Diese zwei Aspekte stehen sich aber diametral entgegen. Es ist ein innerer Kampf, den sie unterschwellig mit sich selbst führt. Wobei die einschränkende Wahrheit immer wieder die Überhand gewinnt und sie sich fast bis zuletzt selbst beschneidet.

Terézia Mora ist ein Roman gelungen, dessen Erzählweise in einem ausgesprochen ruhigen Ton durchdringend darstellt, was ihre Hauptfigur Wüstes durchlebt. Dadurch wird auch die Qualität des Textes unterstrichen, in dem alles (nach-)spürbarer, teilweise gar schwer ertragbar wird. Ein intensives Buch mit dringender Leseempfehlung.


Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens
Luchterhand 2023
448 Seiten / 25 Euro

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Foto: geralt / pixabay

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