Bildrauschen – Olivia Kuderewski: Lux

Von Larissa Plath

Der Weg ist das Ziel – ob sich diese zur Phrase verkommene Weisheit für Lux, die Hauptfigur in Olivia Kuderewskis gleichnamigen Roman, am Ende als wahr erweist? Vielleicht müsste der Weg dafür weniger extrem, die Erlebnisse weniger schmerzhaft sein. Vielleicht sind es aber genau diese existenziellen Erfahrungen, die Lux braucht, um wieder einen Halt zu finden.

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Viel erfährt man nicht über die Protagonistin, die entgegen ihres Namens eher von Dunkelheit als von Licht umgeben ist. Lux ist Anfang zwanzig, hat einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hinter sich und wird mit der ständigen Erinnerung an den Tod ihres Freundes Leon konfrontiert. Sie fliegt in die USA und will sich von New York auf die Reise gen Westen machen. Im Bus nach Detroit trifft Lux auf Kat und ist wie elektrisiert von der jungen Frau. Sie fahren gemeinsam weiter, passieren Chicago, Denver und Las Vegas.

Von Beginn an herrscht Ungleichgewicht zwischen den beiden, ist Kat diejenige, die die Richtung vorgibt und Lux die, die ihr auf ihrem selbstzerstörerischen Weg folgt. Aus der zufälligen Begegnung entwickelt sich ein toxisches Verhältnis. Oder sind Lux und Kat, der Phonetik nach beide Katzen, wie ein und dieselbe Person zu lesen? Kat mit ihrer weißen Haut und ihrem hellen, fast weißen Haar erscheint so seltsam unwirklich, dass man nach Anzeichen für ihre Existenz sucht. Zum ersten Mal taucht sie auf, nachdem Lux ihre Antidepressiva genommen hat. Immer wieder kommt es zu bizarren Situationen, bewegt sich Lux zwischen Wach- und Schlafzustand, folgen Erinnerungen auf Träume und Blackouts. Viele der Szenen wären erträglicher mit dem Wissen, dass sie sich nur in Lux’ Vorstellung abspielten.

Was Lux antreibt ist gleichermaßen Flucht und Suche: Eine Flucht vor dem erlebten Verlust ihres Freundes, vor einem diffusen Gefühl der Angst, das sich wie eine Glasglocke über sie stülpt und eine nahende Depression ankündigt. Gleichzeitig ist sie auf der Suche nach etwas, was ihr Halt gibt, und findet diese Stütze ausgerechnet in der selbst so haltlosen Kat. Was aber treibt Kat an? Diese irisierend schöne, undurchschaubare Frau übt eine starke Anziehungskraft auf Lux aus. Kompromisslos verschafft sich Kat das, was sie braucht und geht dabei über psychische und physische Schmerzgrenzen hinaus.

Bei dem Spiel, das sie für Lux und sich ersinnt, stellt Kat die Regeln auf: Es gehe um „ein bisschen Action“, kleine Mutproben, Konfrontationen. Lux müsse sich abhärten, ein „dickeres Fell“ bekommen. Dazu gehört, die zunehmend exzessiver werdenden Aufgaben zu filmen. „Wie sollst du sonst beweisen, dass du das erledigt hast, man braucht immer Beweise, Videos sind Beweise für die Realität“, lautet Kats verquere Argumentation.

Die Frage nach der sinnstiftenden oder sinnentleerten Funktion von Bildern zieht sich durch den Roman. Welchen Stellenwert bekommt die eigene Erfahrung, wenn sie durch stilisierte Bilder vorweggenommen wird? Olivia Kuderewski spielt mit Assoziationen, die einem in den Sinn kommen und weite Landschaften, unendliche Highways, Fahrten in Greyhound-Bussen oder staubigen Autos vor dem inneren Auge entstehen lassen. Man kennt sie aus unzähligen Filmen und Büchern, längst sind sie zum Klischee geworden. Jack Kerouacs On the Road muss man nicht gelesen haben, um mit dem Topos der Reise in den Westen vertraut zu sein, die gleichbedeutend ist mit der Suche nach Freiheit und nach sich selbst (zumindest sind das die grundlegenden Elemente, auf die Beatnik-Literatur oft reduziert wird). Kennt man Kerouacs Roman, denkt man bei Kat unwillkürlich an eine weibliche Dean-Moriarty-Figur. Bei der Lektüre von Lux ist all das im Hintergrund präsent und doch gelingt es der Autorin, ihre Variante der Roadnovel in eine andere Richtung zu führen.

Statt idealisierten Momentaufnahmen liefert Olivia Kuderewski unverbrauchte sprachliche Bilder und zielt dorthin, wo es am meisten schmerzt. Der Querschnitt durch die USA offenbart verfallene Geisterstädte wie Detroit, verwahrloste und kaputte Menschen. Vor dieser Kulisse erscheint Lux’ Suche nach Bedeutung ihres eigentlichen Sinnes beraubt. Mehr und mehr nimmt der Roman an Fahrt auf, fügen sich atemlose Satzreihen aneinander und intensivieren das Leseerlebnis.

Am Ende verlässt Lux die Wüste von Las Vegas. Eine unwirtliche Gegend, existenzieller Nullpunkt. Ende oder Anfang? Für Lux könnte es der Punkt sein, an dem sie etwas zurücklässt und neu beginnt.

P.S. Olivia Kuderewski habe bisher „noch keinen Preis gewonnen“ heißt es in der kurzen Autorinnenbiographie, die dem Roman vorangestellt ist. Dieser Zustand hat sich nun geändert: Für ihr Debüt Lux ist Kuderewski der Klaus-Michael Kühne-Preis verliehen worden.

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Olivia Kuderewski: Lux
Voland & Quist 2021
224 Seiten / 22 Euro

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Foto: camilasanto / pixabay.com

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