Selbstdarstellung statt Mitgefühl – Monika Helfer: Löwenherz

Von Meike Bogmaier

Monika Helfer hat einen weiteren Roman über ihre Familiengeschichte veröffentlicht. Löwenherz reiht sich damit hinter der Bagage und Vati ein. Dieses Mal geht es um den verstorbenen Bruder Helfers. Dem Roman mangelt es an Empathie.

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Nach dem Tod der Mutter und dem darauf folgenden Eintritt des Vaters in ein Kloster, wachsen die Geschwister getrennt auf. Die drei Mädchen bei der einen Tante und der Bruder Richard bei der anderen. Daher weiß Helfer nur wenige Geschichten aus der Kindheit Richards zu erzählen. Die meisten bekommt sie erzählt, von ihrem Bruder, ihrem Mann Michael oder anderen, an einige erinnert sie sich selbst. Auch später reißt der Kontakt zu ihrem 6 Jahre jüngeren Bruder immer wieder ab. 

Löwenherz scheint der Versuch zu sein das Mysterium Richard zu entschlüsseln. Es erzählt einzelne Geschichten aus verschiedenen Lebensabschnitten über einen Mann, der notorisch lügt und von einer Katastrophe in die nächste stolpert, bis er sich schließlich das Leben nimmt. Dabei vergleicht Monika Helfer ihren Bruder mit Figuren wie Münchhausen oder John Wayne und romantisiert ihn so als Abenteurer. Aber was ist ein Held, ein Abenteurer im echten Leben anderes als verantwortungslos und egozentrisch?

Im Verlauf der Handlung, läuft Richard als Junge mehrfach von Zuhause fort, wird von der Schule geworfen, baut Marihuana an, lässt sich ein Kind einer fremden Frau aufdrängen, taucht unangekündigt immer wieder mit neuen Geschichten und Bitten auf und verzweifelt am Ende daran, dass ihm das Kind von der Mutter wieder genommen wird. Zwischenzeitlich malt er Bilder, als wären diese für ihn der einzige Zugang zur realen Welt. Das Mädchen, Putzi, dessen Vater er nicht ist, nimmt er bei sich auf ohne auch nur den Versuch zu unternehmen sich abzusichern. Kein Behördengang, kein rechtliches Absichern, keine Informationen über den Verbleib der Mutter – Richard akzeptiert Putzi als seine Tochter genau so wie er Schamasch, einen dahergelaufenen Hund, bei sich aufnimmt: ohne Fragen zu stellen und ohne die Konsequenzen abzuwägen. Man mag dies als Herzensgüte gegenüber Streunern auslegen wollen, aus der Perspektive des Mädchens, die immer wieder aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen wird, meist von der eigenen Mutter, wäre es vielleicht besser gewesen Richard hätte sie nicht aufgenommen.

Während ihrer Erzählung springt Monika Helfer immer wieder zwischen Zeitpunkten und Orten hin und her, sodass es schwierig bleibt ihr zu folgen. Vielleicht ist dies ein stilistisches Mittel um die fantastische Gedankenwelt ihres Bruders nachzuzeichnen. Vielleicht auch der Versuch, die Geschichten um und über ihn zu verarbeiten, ähnlich einem therapeutischen Tagebuch. Deutlich wird jedoch, dass es ihre Perspektive ist aus der erzählt wird und nicht die ihres Bruders. Unklar bleibt hingegen wie zuverlässig Helfer als Erzählerin ist. Immerhin hat sie einen Roman geschrieben und keine Biographie. Da stellt sich fast von allein die Frage, wer sich denn jetzt die fantastischen Geschichten ausdenkt, um das fade Leben etwas spannender zu gestalten, der Bruder oder die Schwester?

Mit Sicherheit kann man jedoch sagen, dass Monika Helfer ein Familiendrama zu Papier gebracht hat, welches einige lose Enden bereithält. Was passiert mit Putzi, nachdem sie Richard weggenommen wird? Was geschieht mit seiner Frau nach seinem Tod? Wieso ist Kitty nicht bei dem Psychiater geblieben? Und war dieser es, der Michael im Dunkeln verprügelt hat? Der Roman bleibt einige Antworten schuldig, so wie das echte Leben. Das tragische Ende, Richards Tod, wird bereits zu Beginn des Romans angekündigt. So wissen die Lesenden immerhin auf was sie sich einlassen: Diese Geschichte hat kein Happy End! Allerdings kommt das Ende viel zu kurz. Fünf Jahre erzählt in acht Seiten. Eine kurze Todesnachricht, ein imaginärer Dialog und zack das war es dann mit Richard und auch mit dem Roman.

Eine tragische Geschichte, welche die Melancholie schuldig bleibt. Das ist das traurige Fazit, was diese Rezensentin ziehen muss. Am Ende ist es fast unmöglich Mitleid mit Richard zu empfinden, weil der Eindruck vermittelt wird, er hätte sich die Schicksalsschläge selbst ausgesucht und nun den einfachsten Ausweg gewählt. Dabei gibt es Dinge im Leben, die wir nicht kontrollieren können. Es gibt Momente in denen wir schwach sind oder egoistisch. Das Sprichwort „Man ist seines eigenen Glückes Schmied“ trifft im echten Leben nur begrenzt zu.

Und auch wenn Richards Entscheidungen für seine Schwester, die Erzählerin seiner Geschichte, nicht nachvollziehbar waren, denn diesen Eindruck vermittelt sie recht deutlich in Löwenherz, so ist bestimmt nicht jede davon aus einer Laune heraus getroffen worden. Richard hat um sein Leben gekämpft und er hat verloren. Eine traurige Wahrheit hinter den meisten Selbstmorden. Leider schafft Monika Helfer es nicht, diese Wahrheit zu vermitteln. Sie schreibt aus der Sicht der Überlebenden, derer die zurückbleiben. Schmerz kann aber nur begrenzt eine Ausrede für mangelndes Mitgefühl sein, vor allem wenn man diesen veröffentlicht.

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Monika Helfer: Löwenherz
Hanser 2022
192 Seiten / 20 Euro

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Foto: Gallila-Photo / pixabay.com

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