Do they know it’s Christmas – Dipo Faloyin: Afrika ist kein Land

von Carlotta Voß

Jenseits von Dritte-Welt-Kitsch, Armutsvoyeurismus und vor allem jenseits aller Stereotype: Dipo Faloyins Buch über Afrika ist ein willkommener Aufschlag für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Kontinent. Über ein Buch mit wenig Schwächen und vielen Einsichten.

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Da, wo sich in (bedauerlich) vielen Bucherscheinungen ein bedeutungsschwangeres Zitat zur Einstimmung des Lesers findet, steht in Dipo Faloyins Afrika ist nicht mein Land ein Vorschlag. Man denke sich hier doch, was gerne mit „afrikanisches Sprichwort“ unterschrieben ist: ein paar Sätze über den sprechenden, weisen Affen, über eine Interaktion von Esel und Ameise. 

Gleich zwei Afrika-Abziehbildchen des Westens führt Faloyin hier leichter Hand vor: Afrika als große Safari, Afrika als Land glückselig-vormoderner Einfachheit. Es sind die beiden schönen Afrikas, die oft im Schatten der beiden schlechten stehen: Afrika als Land von Armut-Hunger-Krankheit, Afrika als Land von Kindersoldaten-Kriegen und Korruption. 

Faloyin will die Klischees allesamt zertrümmern, so konstruktiv wie möglich: nicht nur also, indem er ihnen Exotismus und neokoloniales DNA nachweist, sondern auch, indem er eine Gegenerzählung anbietet – von Afrika als Kontinent größter kultureller Diversität, alternativer Modernen, einer florierenden Filmindustrie, technischer Innovationen, kosmopolitischer Megacitys. Afrika ist kein Land steht so auf dem deutschen Buchmarkt in einer Reihe mit Felwine Sarrs vielbesprochenem Manifest Afrotopia (Matthes und Seitz, 2019) oder Howard W. Frenchs Afrika und die Entstehung der modernen Welt (Klett-Cotta, 2023) – einer Reihe, die noch beschämend kurz ist, aber sich zu Deutschlands verhaltenem Interesse an der eigenen Kolonialgeschichte fügt.

Faloyin ist hemdsärmeliger und leutseliger als der philosophische Sarr, persönlicher und popkultureller als der Globalhistoriker French. Er schreibt konsequent aus dem Alltag des Sprechens-über-Afrika im globalen Norden heraus, in Reaktion auf die Internet-Kampagne Kony 2012 und den Marvel-Film Black Panther, auf die Restitutions-Debatte und die virale Empörung über den Versuch des britischen Fernsehkochs Jamie Oliver, das nigerianische Nationalgericht Jollof zu interpretieren. Er kontextualisiert, gibt afrikanischen Wissenschaftlern, Schriftstellern, und seiner eigenen nigerianischen Familie das Wort, persifliert, erinnert. Im launischen Plauderton, manchmal wütend, aber immer differenziert, erzählt er vom Wettlauf um Afrika im 19. Jahrhundert und den Auswüchsen der Charity-Kultur in den 90ern, die in der Rührseligkeit von „Do they know it‘s Christmas“ nur einen Gipfel fand. 

Er gibt dem Stereotyp vom wahnsinnigen afrikanischen Diktator Gesichter und geopolitische Hintergrunderzählungen und leuchtet unbarmherzig die Absurdität von Hollywoods Akazien-Trommeln-und-Jeep-Afrika aus. Er erzählt von jungen Demokratiebewegungen, feministischen und ökologischen Initiativen in Uganda, Algerien und Namibia, von Tansanias erster weiblicher Staatspräsidentin Sama Suluhu Hassan, von Nigerias Filmindustrie Nollywood. Das Resultat ist opulent, kurzweilig und trotzdem oft klug, und es erfüllt seinen erklärten Zweck: die Rauchschwaden der Klischees so weit zu vertreiben, dass ein Blick auf das moderne Afrika möglich wird. Es ist eine besondere Tugend von Faloyins Buch, dass es die Neugier nie anzutreiben versucht mit raunenden Andeutungen über das weltrettende Potential vorkolonialer afrikanischer Ontologien und Gemeinschaftstugenden, mit neuen Rauchschwaden also, die sich in verwandten Buchtiteln finden: Faloyin vertraut auf die Anziehungskraft des Profaneren. 

Nicht immer allerdings gelingt es ihm, diese Anziehungskraft der Leserschaft vermitteln: Die Stärke des Buches, sich Zeit zu nehmen, kippt bisweilen fast in Geschwätzigkeit, der heitere Plauderton kann anbiedernd sein, sogar albern. Und fast immer, wenn Faloyin seiner Ambition nachgibt, nicht nur mit den konventionellen Afrika-Narrativen des Westens zu brechen, sondern auch mit stilistischen Konventionen des info-tainenden Sachbuchs, geht das daneben: Öfter als nicht scheitert er an den selbstgesetzten Maßstäben von sprachlicher Innovation und essayistischer Wagnis. Metaphern sind schief (da „rieselt“ dann ein „Wortschwall…wie schwache Schneeflocken“ oder „Lagos Ausblicke sind umrahmt von riesigen Palmen und einer hundertprozentigen Schwarzen Demographie.“), Assoziationsketten verlieren sich im Nichts, Sprachregister wechseln willkürlich.

Die deutsche Übersetzung hilft der Sache nicht; grundsätzlich, besonders aber in den literarisch ambitionierten Stellen drückt sich das englische Original förmlich durch die deutschen Sätze durch, sodass sie sich unbequem und sperrig anfühlen. Durch die Prélude, eine sinnliche Hommage an Lagos, muss die Leserin mehr kämpfen, als dass sie sich, vom Autor generös als „Du“ adressiert, staunend-genießend führen lassen könnte. Wer trotzdem folgt, wird aber insgesamt belohnt: Mit vielen Momenten des Sich-selbst-Ertappens, mit Information und Geschichten, und mit einem Perspektivwechsel, der neugierig macht auf die Vielfalt des modernen Afrikas jenseits des Brot für die Welt-Plakats.


Dipo Faloyin: Afrika ist kein Land
Suhrkamp 2023
398 Seiten / 20 Euro

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Foto: PIRO4D / pixabay.com

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