Wirrnis, Witz und Wortgeschiebe – Thomas Kunst: Zandschower Klinken

Bengt Claasen trauert. Das Ende einer Beziehung und der Tod seiner Hündin sind zu beklagen. Grund genug fortzugehen, um an einem anderen Ort von vorn zu leben. Dabei dient Claasen das Halsband des verstorbenen Haustiers als schicksalsweisender Kompass. Er will dort von neuem beginnen, wo dieses vom Armaturenbrett seines Autos rutscht. Seinen Fall tritt das Bändchen vor der Ortschaft Zandschow an. Einem Provinznest irgendwo im äußersten Norden Deutschlands. Dort bilden der zentrale Feuerlöschteich, ein paar durchschnittliche Wohnbauten, der lokale Getränkehandel und die überall verstreuten Apfelbäume die karge Realität dieses Ortes. Ähnlich wie die Wissower Klinken – eine Kreidefelsformation auf Rügen, die 2005 in die Ostsee rutschte – scheint dieser Ort Außenstehenden allerdings ins Vergessen geraten zu sein.

Osterspaziergang – Jakob Nolte: Kurzes Buch über Tobias

Den Drang etwas Eigenes und Neues zu schaffen, den merkt man dem neuesten Roman von Jakob Nolte an. Der Autor experimentiert mit unterschiedlichen literarischen Formen, wehrt sich dabei gegen kanonische Bildung und treibt dabei seinen Text in einen Strudel milchiger Inhalte. Kurzes Buch über Tobias zeigt einen Ausschnitt aus dem noch jungen Leben seines Protagonisten Tobias, der mit Vielem zu kämpfen hat, und dessen Weg zu einem verqueren Bildungsroman führt.

Interview: Literatur als Einmischung und Eroticum

Hubert Klöpfer arbeitet seit über vierzig Jahren im Literaturbetrieb. Nachdem der traditionsreiche Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer im Sommer 2020 in die Insolvenz gehen musste, hat der Verleger nun für sich und seine Autorinnen und Autoren eine neue Heimat gefunden: Im Stuttgarter Kröner-Verlag ist er zukünftig für die ‚Edition Hubert Klöpfer‘ verantwortlich, die in diesem Frühjahr zum ersten Mal ein Programm mit zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur vorlegt. Mit Aufklappen hat Hubert Klöpfer über das Wagnis des Verlegens, die dafür notwendige Naivität und seine ungebrochene Lust an der Literatur gesprochen.

„Du fühlst dich aber gut integriert, oder?“ – Deniz Ohde: Streulicht

Zweifel am Nutzen von Bildung hält sich hartnäckig (und wird auffallend häufig von männlichen Kritikern geäußert). Sie verderbe den Naturzustand des Menschen (Rousseau), führe zur „Spaltung der Gesellschaft“ (O-Ton rechtskonservativer Wähler) oder zementiere in ihrer institutionalisierten Form soziale Ungleichheit (Aladin El-Mafaalani). Deniz Ohde widmet sich in ihrem Debütroman Streulicht dem Thema und lässt ihre Erzählerin um die Frage kreisen, warum sie so wurde, wie sie ist.

Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt – Sibylle Lewitscharoff: Von oben

Der Himmel über Berlin ist der Aufenthaltsort des Helden in Sibylle Lewitscharoffs neuem Roman. Ein unsichtbarer Geist schwebt über der Stadt und sucht die Menschen und Schauplätze auf, die ihm zu Lebzeiten etwas bedeutet haben. Kein Tunnel und kein gleißendes Licht erscheinen dem Verstorbenen. Auch für die Toten gibt es weder Gewissheit noch Ruhe.