Osterspaziergang – Jakob Nolte: Kurzes Buch über Tobias

Von Jascha Feldhaus

Den Drang etwas Eigenes und Neues zu schaffen, den merkt man dem neuesten Roman von Jakob Nolte an. Der Autor experimentiert mit unterschiedlichen literarischen Formen, wehrt sich dabei gegen kanonische Bildung und treibt dabei seinen Text in einen Strudel milchiger Inhalte. Kurzes Buch über Tobias zeigt einen Ausschnitt aus dem noch jungen Leben seines Protagonisten Tobias, der mit Vielem zu kämpfen hat, und dessen Weg zu einem verqueren Bildungsroman führt.

Tobias Becker ist der Held, dem Jakob Noltes Roman Kurzes Buch über Tobias gewidmet ist. Es erscheint zunächst so, als sei Tobias einer jener jungen Menschen, denen alle Möglichkeiten offenstehen, also das Leben leicht zu sein scheint. Von seiner Oma erhielt er zum achtzehnten Geburtstag ein Depot mit 19.000 Euro, und seine Eltern können es sich erlauben, ihn mit 700 Euro monatlich zu unterstützen, damit er unbeschwert sein literarisches Studium in Hildesheim angehen kann. Er hat sogar großen Erfolg mit seinem ersten Buch 100 Jahre 43, will dann aber keine weiteren schreiben.

Wir erfahren allerlei Lebensgeschichten. Da ist beispielsweise seine Freundin Alina, mit der er im Verein Tischtennis spielt, oder Tobias, der andere, sein Partner, mit dem er eine unerfüllte Liebesbeziehung führt – die beiden haben sich auseinandergelebt, aufgerieben an einem Kinderwunsch. Wir erfahren von Reisen, seiner sterbenden Mutter, dem schrägen Verhältnis zu seinem Vater. Tobias selbst wirkt dabei aber eher abwesend, auch in einer Art orientierungslos. Einzig die Religion erscheint als Halt, wenn seine Perspektive im Verlauf des Romans ins Mahnhafte kippt: Er wird Priester, exkommuniziert, Online-Prediger, dann erfriert er und steht schließlich – wie war es auch anders zu erwarten? – von den Toten wieder auf.

Diese sonderbare Geschichte wird vom Autor experimentell modifiziert. Wir haben hier keinen bloßen Erzähltext vorliegen, denn Jakob Nolte spielt mit unterschiedlichen Formen. So webt er Mails, Listen, Auszüge aus den Texten von Tobias („Ashita no Tobias Becker“, „Selbstporträt mit 42 Jahren“, „Glocke, 1423“) oder auch dramatisch anmutende Dialoge (beispielsweise mit seiner Mutter) ein, um dem Haupttext weitere Ebenen mitzugeben und dem Leser darüber die Perspektive zu erweitern. Insgesamt schafft Nolte damit einen interessanten Versuch, der dieses Jahr bereits in ähnlicher Weise mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet wurde (Iris Hanikas Echos Kammern).

Im Unterschied zu Hanikas Roman gelingt es Nolte aber nicht, sein durchaus interessantes Vorhaben überzeugend umzusetzen. Denn die mutig eingeworfenen Metatexte tragen selten zum kohärenten Verständnis des Textes beziehungsweise zur Darstellung der Charakterentwicklung des Protagonisten bei. Sie sind halt da, stehen im Text.

Das Unternehmen, etwas Neues zu schaffen, hinkt dem lapidaren Wegwischen kanonischer Bildung ebenso hinterher: Goethes Chorus mysticus sagt den jungen Leuten nichts mehr, sie können damit nichts anfangen. Das ist in Ordnung, aber dann bitte muss auch etwas gezeigt werden, was das Alte ersetzen kann. Vielmehr ist es so: „Aufgrund der gewaltsam erzwungenen Serotonin-Ausschüttungen der letzten beiden Nächte fiel es Tobias schwer, Freude zu empfinden.“ Diese zwanghafte Orientierungslosigkeit verhindert das Aufblitzen neuer Alternativen. Alles bleibt schwierig, so auch die Bemühungen, den Text sprachlich gelungen in Szene zu setzen. Eigentlich bieten die unterschiedlichen Formen genug Möglichkeiten, stilistische Feinheiten herauszuarbeiten, aber im Gesamten schafft es der Autor nicht, den Text in verschiedene Töne zu färben: Es liest sich meist wie eine Reihung wahlloser Sätze, die auch einfach anders neu zusammenkommen könnten.

Der Prolog von Kurzes Buch über Tobias war dabei doch vielversprechend, ließ die Helikopter-Szene doch eine interessante Vermutung zurück, wovon der Roman auch hätte handeln können: Die optische Täuschung der Rotorblätter, die Dopplung der Brüder-Piloten deutete eine doppelte, eine mehrschichtige Erzählung an. Leider wird man am Ende enttäuscht. Die Mittel dafür waren da, aber sie wurden nicht miteinander verschränkt.


Jakob Nolte: Kurzes Buch über Tobias
Suhrkamp 2021
231 Seiten / 22 Euro

Kaufen im Shop der

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Foto: ID 12019 / pixabay.com

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