Wie man einen Frosch kocht – Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein

Dem Mythos nach springt ein Frosch, so man ihn in kochendes Wasser wirft, sofort aus dem Topf – während er, wenn das Wasser nur langsam erhitzt wird, keine Fluchtversuche unternimmt, weil er die Temperaturunterschiede nicht bemerkt. In Sasha Marianna Salzmanns zweitem Roman dient als Kochwasser ein korrupter sowjetischer Staat, in dem seine BürgerInnen – Salzmanns ProtagonistInnen – weichgekocht werden, bis nur noch wenig Lebendiges und Ehrlich-Authentisches an ihnen ist. Das titelgebende Tschechow-Zitat ist bittere Ironie, weil die Autorin ausschließlich das Gegenteil umschreibt: Herrlich ist da wenig, beherrscht schon eher. Auch 30 Jahre, nachdem der Ofen ausging, kann das Kochwasser noch salzig genug sein, lähmt es die Frösche noch.

Holz und Vorurteil – Juli Zeh: Über Menschen

‚Über Menschen‘ ist so etwas wie die unzusammenhängende Fortsetzung von ‚Unterleuten‘, was auch der Autorin Anlass gibt, sich auf entsprechende Wortspiele einzulassen. Mit ‚Unterleuten‘ schrieb Juli Zeh 2016 einen großen Gesellschaftsroman über Deutschland 30 Jahre nach der Wende, über Großstadt- vs. Dorfleben, die Energiewende, zwischenmenschliche Beziehungen und aus der Gesamtsumme dieser Faktoren erwachsende Einzelschicksale. Aus einer ähnlichen Ausgangslage heraus entstand auch Zehs jüngstes Werk, mit einem zusätzlichen Faktor: der Corona-Pandemie. Insofern ist der Roman ein höchst zeitgemäßer, der die Leserin verwundert feststellen lässt, dass das Virus offensichtlich schon derart lange alltagsbestimmend ist, dass in der Zwischenzeit Bücher darüber geschrieben und veröffentlicht werden konnten.

Familiendemo – Katrin Seddig: Sicherheitszone

„Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu“: Wer kennt das Zitat Ödon von Horvaths nicht auch von Postkarten, Sprüche-Kalendern und T-Shirts und hat beim Lesen vielleicht leise gelächelt. Keiner der Charaktere in Katrin Seddigs G20-Roman ‚Sicherheitszone‘ würde solch ein Shirt in der Öffentlichkeit tragen. Von Horvaths Worte scheinen ihnen aber auf die Bretter vor ihren Köpfen geschrieben zu sein. So wie vermutlich den meisten von uns.

Bergweh – Martina Altschäfer: Andrin

Wer kennt sie nicht, die Sehnsucht nach einem spontanen Exit aus dem Alltag: Ausbrechen aus dem Trott und plötzlich an einen heilen, schönen Ort springen. Martina Altschäfers Debütroman ‚Andrin‘ entführt die Protagonistin Susanne an einen solchen Flecken. Das Setting ist im wahrsten Sinne des Wortes gut und schön, aber der Funke springt nicht über. In erster Linie liegt das am Storytelling der Autorin, die hauptberuflich Malerin ist: Sie lässt durch Worte zwar Sehnsuchtsbilder entstehen, eine überzeugende Erzählung wird daraus aber leider nicht.

In alles Leben gierig hineinbeißen – Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik

Mit einem durch und durch unkonventionellen Buch hat es die 1985 geborene Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. ‚Aus der Zuckerfabrik‘ fällt aus der Reihe – Autorin und Lektor sind sich nicht einmal einig, ob es sich dabei um einen Roman handelt oder eher um einen Recherchebericht. Was ist das Anliegen ihrer Arbeit? Über eine Lektüre so anspruchsvoll wie faszinierend.

Befremdliches Schweigen – Hans Joachim Schädlich: Die Villa

Fünfundsiebzig Jahre nach Kriegsende schreibt Hans Joachim Schädlich das Buch ‚Die Villa‘ über das Leben einer vogtländischen Familie im Nationalsozialismus. Man könnte meinen: Das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt; erleben wir doch heute, wie rechtes Gedankengut teils ungehemmt aus diversen gesellschaftlichen Kreisen an die Öffentlichkeit dringt. Da braucht es Bücher, die dem entgegen stehen und laut aufzeigen, wie vermeintlich vergangene Strukturen reproduzierbar sind. Ist ‚Die Villa‘ solch ein Buch?