Zerrüttende Verhältnisse – Christoph Geiser: Brachland

Mit Brachland liefert Christoph Geiser die Fortsetzung seines Familienromans Grünsee und den zweiten Band seiner Werkausgabe. Im Mittelpunkt des Romans steht der Vater. Ein gesellschaftlich angesehener Kinderarzt, der auch gerne im Mittelpunkt der Familie stehen würde, dort aber aufgrund seiner patriarchalen Ansprüche untergeht und schließlich als selbstgewählter Außenseiter im Elsass landet.

Großmutters Landschaft, eine zerfallende Familie – Christoph Geiser: Grünsee

Christoph Geisers Roman Grünsee ist der erste Band der Werkausgabe, aber nicht der erste Roman des Autors. Dennoch scheint die Wahl ein kluger Zug zu sein, denn dieser Roman bietet einen wunderbaren Einstieg in die literarische Welt Geisers und damit auch in die zweibändige Familienerzählung. Der Leser folgt hier einem personellen Ich-Erzähler, der durchaus als ein Alter Ego des Autors erscheint und aus dessen Sicht die doppelsträngige Erzählung präsentiert wird. Aber – und das ist große Kunst – der Erzähler drängt sich nicht zwangsläufig als Hauptfigur auf, vielmehr begleitet man ihn durch Vergangenheit und Gegenwart, in denen er jeweils seinen eigenen Platz hat. Wobei das Vergangene eine Familiengeschichte zeigt, die sich vor allem in und um das Feriendomizil seiner Großmutter in Zermatt dreht, während das Jetzt bedeutsam das Resultat aufzeigt.

Ein Drang nach Identität – Simoné Goldschmidt-Lechner (SGL): Messer, Zungen

Was bleibt einem übrig, wenn Fragen an die Vergangenheit unbeantwortet bleiben? Simoné Goldschmidt-Lechner gräbt autofiktional in losen persönlichen Fragmenten herum, um einen Roman zu präsentieren, der eine ganz eigene Familiengeschichte stückhaft zusammenfügt. Daraus gewinnt sie eine Idee der Identität und des Seins. In der Geschichte wird alles mit dem Wissen der Gegenwart betrachtet; vergangene Missverständnisse, Fehler oder Verhaltensweisen, aber auch die Sprache oder die Sprachen sind maßgebliche Faktoren für das Selbstverständnis der Protagonistin namens Mädchen.

„Die nordkoreanische Vulkanologie hob an zu singen“ – Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang

Der Großvater befreite sein Volk von den Japanern, der Vater sperrte es in Arbeitslager ein, der Sohn schenkt ihm Atomwaffen. Die Kims verwandelten Nordkorea in eines der am stärksten isolierten Länder der Welt. Ein Besuch auf dem Nordteil der Halbinsel gleicht einer Zeitreise. Wir schreiben das Jahr 107 nach Kim Il-sung, frühes 21. Jahrhundert. Auftritt Claudia Aebischer.

Sowohl als auch statt schwarz oder weiß – Natan Sznaider: Fluchtpunkte der Erinnerung

Warum sollte man das eine lassen, um das andere tun zu können? Diese Frage stellt sich der Soziologe Natan Sznaider in seinem für den Deutschen Sachbuchpreis nominierten Buch zur Lage der Erinnerungskultur in Deutschland und der Welt. Das eine ist die Erinnerung an die Shoa, das andere die an den Kolonialismus. In seinem klugen, ausgewogenen Buch plädiert Sznaider für eine Ausweitung der Perspektive, die integrativ wirken könnte, ohne die Dinge zu vereinfachen.

Im Kunstversteck – Eckhart Nickel: Spitzweg

Spätestens seit Spitzweg ist klar: Eckhart Nickel gehört zu den ganz großen deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart. Seine Prosa schert sich nicht um aktuelle Stilvorschriften. Durch ihren ins Altmodische ragenden Formwillen hat sie vielmehr etwas Zeitloses, das jedoch wiederum durch ihre Lässigkeit durchbrochen und in die Gegenwart geholt wird. Seine Romane sind unheimlich raffiniert gebaute Kunstwerke von erhabener Schönheit. Sie sind Ergebnisse einer tiefschürfenden Beschäftigung mit den großen Fragen des Lebens. Dank großer literarischer Könnerschaft wirkt dies jedoch beinahe mühelos. Wie macht er das?