Mit Brachland liefert Christoph Geiser die Fortsetzung seines Familienromans Grünsee und den zweiten Band seiner Werkausgabe. Im Mittelpunkt des Romans steht der Vater. Ein gesellschaftlich angesehener Kinderarzt, der auch gerne im Mittelpunkt der Familie stehen würde, dort aber aufgrund seiner patriarchalen Ansprüche untergeht und schließlich als selbstgewählter Außenseiter im Elsass landet.
Schlagwort: Rezension
Großmutters Landschaft, eine zerfallende Familie – Christoph Geiser: Grünsee
Christoph Geisers Roman Grünsee ist der erste Band der Werkausgabe, aber nicht der erste Roman des Autors. Dennoch scheint die Wahl ein kluger Zug zu sein, denn dieser Roman bietet einen wunderbaren Einstieg in die literarische Welt Geisers und damit auch in die zweibändige Familienerzählung. Der Leser folgt hier einem personellen Ich-Erzähler, der durchaus als ein Alter Ego des Autors erscheint und aus dessen Sicht die doppelsträngige Erzählung präsentiert wird. Aber – und das ist große Kunst – der Erzähler drängt sich nicht zwangsläufig als Hauptfigur auf, vielmehr begleitet man ihn durch Vergangenheit und Gegenwart, in denen er jeweils seinen eigenen Platz hat. Wobei das Vergangene eine Familiengeschichte zeigt, die sich vor allem in und um das Feriendomizil seiner Großmutter in Zermatt dreht, während das Jetzt bedeutsam das Resultat aufzeigt.
Ein Drang nach Identität – Simoné Goldschmidt-Lechner (SGL): Messer, Zungen
Was bleibt einem übrig, wenn Fragen an die Vergangenheit unbeantwortet bleiben? Simoné Goldschmidt-Lechner gräbt autofiktional in losen persönlichen Fragmenten herum, um einen Roman zu präsentieren, der eine ganz eigene Familiengeschichte stückhaft zusammenfügt. Daraus gewinnt sie eine Idee der Identität und des Seins. In der Geschichte wird alles mit dem Wissen der Gegenwart betrachtet; vergangene Missverständnisse, Fehler oder Verhaltensweisen, aber auch die Sprache oder die Sprachen sind maßgebliche Faktoren für das Selbstverständnis der Protagonistin namens Mädchen.
Verstrahlt – Benjamin Heisenberg: Lukusch
Vom Strahlenopfer zum Schachgenie und hellsehenden Unternehmensberater: Anton Lukuschs abenteuerliche Biographie ist der Gegenstand von Bejamin Heisenbergs erstem Roman. Tragen skurrile Einfälle und filmische Cuts das Buch bis zum Ende?
„Die nordkoreanische Vulkanologie hob an zu singen“ – Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang
Der Großvater befreite sein Volk von den Japanern, der Vater sperrte es in Arbeitslager ein, der Sohn schenkt ihm Atomwaffen. Die Kims verwandelten Nordkorea in eines der am stärksten isolierten Länder der Welt. Ein Besuch auf dem Nordteil der Halbinsel gleicht einer Zeitreise. Wir schreiben das Jahr 107 nach Kim Il-sung, frühes 21. Jahrhundert. Auftritt Claudia Aebischer.
„Und wahrscheinlich haben alle ihre Dschinns“ – Fatma Aydemir: Dschinns
In ihrem zweiten Roman erzählt die Autorin die Geschichte einer deutschtürkischen und -kurdischen Familie, die über den plötzlichen Tod des Vaters Hüseyins in Istanbul zusammenkommt. Im Gepäck haben sie nicht nur ihre Trauer, sondern auch widersprüchliche Gefühle, Fragen und Unausgesprochenes; kurzum ihre eigenen und die Dschinns der anderen.
Sowohl als auch statt schwarz oder weiß – Natan Sznaider: Fluchtpunkte der Erinnerung
Warum sollte man das eine lassen, um das andere tun zu können? Diese Frage stellt sich der Soziologe Natan Sznaider in seinem für den Deutschen Sachbuchpreis nominierten Buch zur Lage der Erinnerungskultur in Deutschland und der Welt. Das eine ist die Erinnerung an die Shoa, das andere die an den Kolonialismus. In seinem klugen, ausgewogenen Buch plädiert Sznaider für eine Ausweitung der Perspektive, die integrativ wirken könnte, ohne die Dinge zu vereinfachen.
Bohrkern des Lebens – Esther Kinsky: Rombo
1976 zerstörte ein Erdbeben im italienischen Friaul dutzende Dörfer und tötete Fast 1000 Menschen. Das vorausgehende Grollen, der Rombo, verfolgt die Überlebenden bis heute. Doch wer den Roman als Bericht eines kollektiven Traumas liest, irrt.
Im Kunstversteck – Eckhart Nickel: Spitzweg
Spätestens seit Spitzweg ist klar: Eckhart Nickel gehört zu den ganz großen deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart. Seine Prosa schert sich nicht um aktuelle Stilvorschriften. Durch ihren ins Altmodische ragenden Formwillen hat sie vielmehr etwas Zeitloses, das jedoch wiederum durch ihre Lässigkeit durchbrochen und in die Gegenwart geholt wird. Seine Romane sind unheimlich raffiniert gebaute Kunstwerke von erhabener Schönheit. Sie sind Ergebnisse einer tiefschürfenden Beschäftigung mit den großen Fragen des Lebens. Dank großer literarischer Könnerschaft wirkt dies jedoch beinahe mühelos. Wie macht er das?
„Spezieller Narr vor seinem speziellen Narrenkasten“ – Peter Handke: Zwiegespräch
Peter Handkes neues Buch ist ein Interview des Autors mit sich selbst. Als letzter Mohikaner, dem die Sprache noch etwas bedeutet, inszeniert sich der Nobelpreisträger in Zwiegespräch. Für ein so dünnes Buch wird etwas wenig erzählt und dafür umso mehr lamentiert.