Von Veit Lehmann
Eine gute Absicht schreibt noch kein gutes Buch. Warum Christoph Heins Roman Guldenberg über den alltäglichen Rassismus in der ostdeutschen Provinz weder inhaltlich noch sprachlich zu überzeugen vermag.
„Ich weiß nicht, ob die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, in allen Details der Wahrheit entspricht, aber dennoch glaube ich, dass ich die seltsamen Ereignisse, die sich in unserem Dorf zugetragen haben, erzählen muss, weil sie möglicherweise auf manche Vorgänge in diesem Land ein erhellendes Licht werfen können.“ Diese Zeilen aus dem Epilog des Films Das Weiße Band könnten auch Christoph Heins Guldenberg vorangestellt werden, denn weder geht es hier um die Schilderung konkreter Ereignisse, noch ist das Buch im engeren Sinne ein Roman, als vielmehr ein Theaterstück in Prosaform.
Wer die Nachrichten seit 2015 auch nur nachlässig verfolgt hat, wird mit dem Stoff vertraut sein. Eine Stadt in Ostdeutschland, klein, aber nicht idyllisch, bekommt zwölf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zugeteilt. Das Fremde bedeutet Unfrieden für die Guldenberger und schon bald machen Gerüchte von einer Vergewaltigung die Runde. Es werden Reifen zerstochen, Fenster eingeworfen und schließlich das Flüchtlingsheim in Brand gesteckt. Dass bei all dem kein Täter gesucht und kein Opfer gemordet wird, unterstreicht den Charakter eines Sittengemäldes.
Es lohnt sich, die Wahl der Protagonisten dieses Mikrokosmos zu betrachten: Da ist Adil, der 17-jährige Iraker, der ohne Eltern nach Deutschland floh und einen Cousin in Berlin hat, aber in ein Heim in die Provinz geschickt wird, wo er zwischen Ablehnung und Langeweile seines Schicksals harrt. Da ist der Bürgermeister Kötteritz, dessen Familie seit der Aufnahme der Flüchtlinge bedroht wird und der sich eigentlich in einem Machtkampf mit dem Unternehmer Haubrich-Becker aufreibt, und da ist der Polizeimeister Kremer, dessen Guldenberger Revier wegrationalisiert wurde und dessen Ermittlungen bestenfalls als „Dienst nach Vorschrift“ bezeichnet werden können.
Die Guldenberger Bürger werden im „Skatklub“ eingeführt, der sich mit Dorfklatsch und Hetze die freie Zeit vertreibt. Fred Krausnick, ist zwar nicht Teil des Stammtisches, aber mit seinen Verschwörungstheorien und vulgären Anschuldigungen nur eine Steigerung des Normalen. Pfarrer Alexander Fuschel hingegen verkörpert den Idealtypus eines standhaften Geistlichen. Mutig bekennt er sich zu den Flüchtlingen, leistet einer minderjährigen Schwangeren Beistand und zweifelt bislang an seiner Stärke.
Sowohl als Auflockerung als auch als Reflexionsebene treten die bauernschlaue Oma Trude, zu der verstorbene Guldenberger sprechen und Malka Gold auf, die Haushälterin des Pfarrers, die Jüdin ist und nicht nur heißt wie ein Klischee, sondern auch so spricht.
Erzählerisch, so viel sei an dieser Stelle bekannt, ist das Buch kein Vergnügen. Stereotypische Charaktere, hölzerne Dialoge, unfreiwillig komische Jugendsprache: Auch wenn man den Roman als Theatervorlage lesen mag, bräuchte es schon außergewöhnliche Schauspieler:innen, um eine Identifikation herzustellen (Ein Gedanke der leicht süffisant in mehreren Rezensionen, so der des DLF Kultur, durchgespielt wird ).
Die eigentliche Leistung des Werkes liegt woanders, nämlich bei der Frage nach dem Grund, für die Missgunst, die Bosheit und die Passivität der Akteure. Denn anders als der seinerseits schon stereotypisierte Dreiklang aus Kleinstadt, Ostdeutschland und abgehängten Männern vermuten ließe, sieht Hein weder in der Diktaturerfahrung der DDR noch im Raubtierkapitalismus der Nuller-Jahre die Ursache für den „moralischen Verschleiß“, den er sich von Marx borgt. Es scheint vielmehr ein systemübergreifender Materialismus zu sein, der mangels Stimulanz beinahe alle Akteure in Passivität verharren lässt und gleichsam selbst Ursache von Verdächtigungen, Beschuldigungen und Gewalttaten geworden ist. Woher und seit wann diese „Gleichgültigkeit der Bewohner füreinander“ stammt, darin wird Hein unbestimmt und manchmal banal, wenn die „allmähliche Verfertigung der Gedanken“ nicht mehr mit dem Kommunikationstempo schritthalten kann. Dass am Ende des Romans der christliche Idealismus des Pfarrers Fuschel der einzige Weg der Änderung sein soll, ist zwar konsequent, verfängt aber in dem blutleeren Werk nicht.
So anständig auch die Absicht war, muss Guldenberg doch als misslungen bezeichnet werden. Ein erhellendes Licht wirft der Roman nicht auf die Vorgänge in unserem Land.
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Christoph Hein: Guldenberg
Suhrkamp 2021
284 Seiten / 23 Euro
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Foto: Hans / pixabay.com