Von Susanne Bader und Pascal Mathéus
Ein Gespräch mit Daniela Engist über den weiblichen Blick, Ironie und französische Konkurrentinnen.
Ein warmer Juliabend in Freiburg. Daniela Engist liest aus ihrem zweiten Roman Lichte Horizonte. Die Buchhandlung zum Wetzstein hat zur Veranstaltung eingeladen, Susanne Bader, Geschäftsführerin der Buchhandlung, und Pascal Mathéus stellen der Schriftstellerin zwischen den Leseblöcken ein paar schwierige Fragen.
Aufklappen: Lügen Sie gerne, Frau Engist?
Daniela Engist: Lüge ich gerne? Das habe ich nicht gesagt. Nein, ich lüge nicht gerne. Zumindest gefalle ich mir darin, das zu glauben.
Sie schreiben: „Alle Künstler lügen“…
„Alle guten Künstler lügen. Die anderen auch, aber aus anderen Gründen.“ „Lügen“ ist hier im nietzscheschen Sinne zu verstehen, im außermoralischen Sinne, nicht Lügen im Sinne von „bewusst die Unwahrheit sagen“, sondern eigentlich geht es um die Unsagbarkeit der Dinge an sich. Jeder Satz, den ich formuliere, geht haarscharf an der Wahrheit vorbei. Worte oder andere Formen des menschlichen Ausdrucks sind immer nur Annäherungen. Gute Künstler wissen das oder sie ahnen es zumindest.
In welchem Verhältnis steht Lichte Horizonte zur Realität?
Das Verhältnis von Fiktion und Realität ist etwas, was mich selber sehr interessiert. Mein erstes Buch war Realsatire – sehr ironisch und lustig. Damals habe ich sehr bewusst eine Figur gewählt, die so weit wie möglich von mir entfernt war: männlich und aus der dritten Person erzählt. Diesmal habe ich lange gezögert und überlegt, ob ich es wagen will, eine weibliche Person in den Mittelpunkt zu stellen, die „ich“ sagt und biographische Überschneidungen mit mir hat. Ich habe mit mir gerungen, war mir nicht sicher, was das auslöst. Am Ende habe ich es gemacht, weil der Text nicht anders funktionieren konnte. Er hat das verlangt. Es ist ja nicht so, dass man sich beliebig eine Perspektive aussuchen kann. Natürlich habe ich überlegt, was halte ich raus, was bringe ich rein? Das war spannend! Was ich aber immer gerne mache, ist, reale Orte zu verwenden. Das war auch im vorherigen Buch schon so. Ich mag es sehr, wenn man selber beim Schreiben im Kopf herumgehen kann und diese echten Orte zur Verfügung hat. Das ist sozusagen meine Verankerung in der Realität. Dann kann alles andere passieren. Das kommt dann aus mir heraus, aber das bin natürlich nicht ich.
Ich möchte auch nicht Frauenliteratur aus Frauensicht für Frauen schreiben, das fände ich ganz fürchterlich.
Unter dem Stichwort „Blick“ findet sich auf Ihrer Homepage Folgendes: „Die Literatur ist voll von Männern, die auf Frauen schauen. Frauen schauen auch. Nur anders.“ Worin liegt dieses „anders“?
Wenn ich das erklären könnte, müsste ich keine Bücher schreiben, glaube ich. Ich habe mich tatsächlich gefragt, wie ich als Frau über Liebe, Gefühle und Beziehungen schreiben kann, wo ich doch eigentlich mein Leseleben lang immer aus der Perspektive von Männern gelesen habe. Irgendwann habe ich mein Bücherregal durchgeschaut und da standen fast nur männliche Autoren. Ich habe mich nie gefragt, was denn das für ein Blick ist. Ich habe das einfach für selbstverständlich genommen. Wenn man selber als Frau schreibt, stellt man aber fest, dass das so nicht funktioniert, da stimmt etwas nicht – es ist auf die falsche Art gelogen, sozusagen. Allein dass ich mir die Frage stelle, ist doch schon absurd. Warum frage ich mich, ob ich als Frau in dieser Weise über Männer schreiben darf? Praktisch in einer Verkehrung des tradierten Subjekt-Objekt-Verhältnisses: Ich schaue auf dich. Bei manchen Leuten scheint das einen wunden Punkt zu treffen. Eine Leserin hat mir mein Buch fast um die Ohren gehauen. Sie sagte: „Was ist denn das für eine Frau. Ist ja unmöglich, wie die sich verhält, wie die sich aufführt.“ Sie hätte das nicht nötig, sie käme mit Männern gut zurecht, meinte sie. Das kommt von ganz tief innen. Ich finde spannend, was so ein Text in Menschen auslöst. Jeder liest sich auch selber.
Und der weibliche Blick?
Ich weiß es nicht. Ich möchte auch nicht Frauenliteratur aus Frauensicht für Frauen schreiben, das fände ich ganz fürchterlich. Man läuft aber Gefahr, genau da eingeordnet zu werden. Aus Marktsicht verstehe ich das ja. Aber dass sofort diese Schublade aufgeht, finde ich ganz gruselig. Wie nennt man denn eigentlich Bücher, die von Liebe handeln und von Männern geschrieben sind?
Noch eine schwierige Frage: Was hat ihre Heldin Anne eigentlich gegen Franzosen – oder vielleicht vor allem gegen Französinnen?
Hat sie was gegen Französinnen, kommt das so rüber?
Ein bisschen. Ihr Buch fängt ja schon mit der genervten Feststellung an: „Alles ist voller Franzosen.“
Nein, nein, das ist doch kein Ärgern!
Und was ist mit der Passage, in der sie feststellt, dass die Französinnen auf dem Konzert in Mulhouse gar nicht so elegant aussehen, wie immer behauptet wird, sondern genauso langweilig wie die Frauen in der Heimatstadt?
Na ja, erstmal geht es um eine Wahrnehmungsverengung. In dem Moment, in dem das Buch einsetzt, dreht sich in Anne alles um einen Franzosen. Wo immer sie hingeht, hört sie auf einmal alle nur noch französisch sprechen. Es wollen auch alle nach Frankreich. Sie sieht nur noch das. Das funktioniert wie ein Filter. Mir ging es zum Beispiel so, als ich schwanger war. Da sah ich auf einmal nur noch Menschen mit Kinderwagen. Die sehe ich schon lange nicht mehr. Natürlich gibt es die immer noch, aber ich sehe sie nicht mehr. Und dann ist Anne ja auch keine so einfache Figur. Es gibt da einige Widersprüche, und in ihrem Verhältnis zu allem Französischen zeigt sich das ganz schön. Auf der einen Seite hat sie eigentlich Zeit ihres Lebens gegen Frankreich gewettert. Sie ist Anglistin, dieses blöde Französisch versteht sie sowieso nicht. Und ihr Mann war auf einem deutsch-französischen Gymnasium, hat sie nach Paris geschleppt, diese fürchterliche Stadt, die aussieht als stamme alles „aus einem Steinbaukasten“, denkt sie einmal. „Und den Eiffelturm hätten sie abreißen sollen, wie sie es vorgehabt hatten…“.
Aber sie hat nichts gegen Franzosen!
Sie muss zumindest damit klarkommen, dass es auf einmal doch ganz arg toll ist, dieses Frankreich. Denn plötzlich ist sie so wahnsinnig verliebt in diesen Franzosen. Ausgerechnet. Sie muss ihr inneres Bild korrigieren. Die realen, vernünftigerweise eher praktisch als elegant gekleideten Französinnen in der Konzertszene sind im Grunde auch so eine Korrektur. Es gibt eine Erinnerungsequenz, da fährt die junge Anne mit einem ihrer Männer in die Oper nach Mulhouse und friert sich den Hintern ab, weil sie sich nicht warm genug angezogen hat. Warum? Weil sie mit dem Bild der eleganten Französinnen in ihrem Kopf konkurrieren wollte.

Sie haben vorhin die Ironie erwähnt, die Sie im ersten Roman verwendet, aber im zweiten nicht mehr als passend empfunden haben. Auf ihrer Homepage schreiben Sie „Ironie ist eine Ausweichbewegung, um sich vor dem Gefühl zu drücken. Es ist zu leicht, sich über die Liebe lustig zu machen. Aber das interessiert mich nicht.“ Wie kommen Sie zu dieser Haltung?
Ironie schafft immer eine Distanz. Es geht immer um eine Art Überhebung. Ich bleibe nicht nah dran und sage nicht, was ich eigentlich sagen möchte, sondern ich spreche uneigentlich. Ich gehe einen Schritt zurück oder nach oben, und tue so, als könnte ich eine Perspektive einnehmen, die mir erlaubt, gleichzeitig etwas zu sagen und darüber zu urteilen. Entweder ein Urteil oder eine sehr neutrale Position, in der man mir nichts kann. Ich mag Ironie in ganz vielen Situation sehr. Aber ironisch über Liebe zu schreiben, finde ich ganz problematisch. Eine Möglichkeit wäre vielleicht noch Lakonie, völlig abgeklärt, hier ein Satz, da ein halber Satz. Punkt. Nach dem Motto „früher war’s schlimm, aber jetzt hab ich’s verstanden“. Oder zumindest habe ich verstanden, dass eh alles egal ist. Stéphane, Annes Geliebter, ist auch so einer, der nur halbe Sätze sagt und sie dann stehen lässt. So bleibt er entweder Philosoph oder Lakoniker. Aber er wird nicht greifbar. Das ist, was mich gereizt hat: Ich wollte von Gefühlen schreiben, die greifbar, spürbar sind. Wir sind jetzt wieder gefährlich nah beim Thema Frauenliteratur: „Frauen, die über Gefühle schreiben“, oder so. Furchtbar! Ich wollte sehen, wie das gehen kann, ganz nah an den Gefühlen zu bleiben, ohne kitschig oder abgedroschen zu werden. Ich hoffe, es gibt im Buch auch ein paar Stellen, die einem nahegehen. Mit Ironie klappt das nicht.
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Zur Rezension des Romans geht es hier.
Daniela Engist: Lichte Horizonte
Edition Klöpfer 2021
208 Seiten / 20 Euro
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Foto: Bernd Engist
Ein Kommentar zu „Interview: Dürfen Frauen über Männer schreiben?“