Von Matti Borchert und Pascal Mathéus
Ein Gespräch mit Hubert Klöpfer über das Büchermachen und den aufmüpfigen Anspruch, „gehörig politisch“ zu sein
Hubert Klöpfer arbeitet seit über vierzig Jahren im Literaturbetrieb. Nachdem der traditionsreiche Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer im Sommer 2020 in die Insolvenz gehen musste, hat der Verleger nun für sich und seine Autorinnen und Autoren eine neue Heimat gefunden: Im Stuttgarter Kröner-Verlag ist er zukünftig für die ‚Edition Hubert Klöpfer‘ verantwortlich, die in diesem Frühjahr zum ersten Mal ein Programm mit zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur vorlegt. Mit Aufklappen hat Hubert Klöpfer über das Wagnis des Verlegens, die dafür notwendige Naivität und seine ungebrochene Lust an der Literatur gesprochen.

Aufklappen: Wenn heute ein junger Mensch einen Verlag gründen wollte, was würden Sie dem dann raten?
Hubert Klöpfer: Ganz simpel fragte ich wohl: „Haben Sie sich das gut überlegt?“ Als ich in den späteren 80er-Jahren angefangen habe, mit dem Gedanken an die eigene Verlegerei zu spielen, da hatte ich als eine Art Lehrmeister Hannes Elster, den Verleger des seinerzeit renommierten Elster Verlags in Moos, nahe Baden-Baden. Und der sagte einmal so ein bisschen desillusionierend, süffisant zu mir: „Lieber Herr Klöpfer, das ist gewiss eine gute und mutige Idee, ich hatte sie auch einmal, aber wenn Sie mit der Literaturverlegerei ernsthaft anfangen wollen, dann sollten Sie am besten eine Million, mindestens, schon mitbringen können. Weil: Die brauchen Sie, die verbraucht’s, einfach so.“ Auch wenn das damals bloß eine Million Mark meinte: Wir, ich, hatten sie nicht. Wir hatten damals grad einmal so etwas wie Wille und Vorstellung – und 50.000 deutsche Mark als Kapital zum Start.
Also Geld muss man mitbringen.
Ja. Unbedingt. Und Hannes Elster mit seiner Warnung hatte recht. Aus auch eigener leidvoller Erfahrung. Die Verlegerei ist ein seltsames Spiel, ein ständiges Auf und Ab, ein Gewerbe mit (un-)gehörig viel Risiko, das mit Strategie und Planung so viel wie mit Versuch und Irrtum zu tun hat. Und ja, unser bzw. der wirtschaftliche Untergang Klöpfer & Meyers 2020 nach schier 30 Jahren, nach gut und gern 600 Büchern, zwei Verlagspreisen und mit zahlreichen ausgezeichneten, preisgekrönten Autorinnen und Autoren: der Untergang, der war bitter.
Klöpfer & Meyer war außerhalb Baden-Württembergs eher ein Geheimtipp. Wofür stand dieser Verlag?
So geheim waren wir nun auch wieder nicht. Aber ja, richtig, Klöpfer & Meyer war ein tendenziell „alemannischer“ Verlag. Wir standen für gute Literatur, Essayistik, Lyrik aus dem wilden Süden: Baden, Elsass, Pfalz, Schwaben, Württemberg und noch aus dem deutschsprachigen Zipfel der Schweiz. Hier unten hatten wir unsere literarischen Wurzeln, hier unten waren wir auktorial und buchhändlerisch „hauptverbunden“. Aber nimmermehr waren wir ein „Heimatverlag“. Wobei: nix gegen gute Heimatverlage!
Aber zurück, gewiss doch: Wir haben, wir hatten wahrlich zahlreiche Autoren aus ganz „Restdeutschland“ im Programm, und wir haben auch Übersetzungen aus dem Italienischen, Französischen, gar aus dem Norwegischen gebracht, und unsere eigenen Bücher wiederum wurden auch in fünf, sechs europäische Sprachen übersetzt.
Freilich, Sie haben recht: Im Süden waren wir richtig vernetzt, hier kamen wir mit unseren Büchern über Nimo und Werner Reininger, später auch Johannes Reininger, also über unsere südlichen VerlagsvertreterInnen, nahezu in jede südliche Buchhandlung hinein. Und richtig gute Verbindungen zu Journalisten, Kritikern im Literaturland Baden-Württemberg hatten und haben wir selber auch. Zudem begründeten wir zusammen mit Irene Ferchl vor gut fünfundzwanzig Jahren eine Art „literarisches Zentralorgan“: das Literaturblatt für Baden und Württemberg; sieben, acht Jahre erschien es bei uns, dann bei der DVA, dann bei Hirzel in Stuttgart.
Sie haben sich ja schon länger im Literaturbetrieb aufgehalten, bevor Sie mit dem Verlegen begannen. Wie wichtig ist ein Netzwerk für die verlegerische Arbeit?
Das ist eine conditio sine qua non. Ich habe ja auch selber viele Jahre Literaturkritiken geschrieben, habe für einige Jahre auch einen Wissenschaftsverlag geleitet.
Also ein kleines Netzwerk war da schon gespannt. Gleichwohl haben Klaus Meyer und ich damals doch an einer Art literarischem Nullpunkt angefangen. Mehr ahnend als wissend; naiv. Im ersten Jahr brachten wir vier Bücher heraus – und hatten mit dem Kinderbuch Vera, Nikolaus und das Feuer von Ulrich Waller und André Aurich einen ersten Achtungserfolg. Dieser aufwendige Erstling verschlang schier schon die erste Hälfte unseres Kapitals. Aber: Wir haben ihn ganz gut unter die Leserschaft bekommen, dreieinhalbtausend verkaufte Exemplare, wir kamen grade so null auf null damit heraus.
Unsere Erstverlegerei war immer ein Ausprobieren und Herantasten. Wen, welche Autorinnen und Autoren können wir an uns binden, an unseren neuen „Kleinstverlag“, den noch niemand kennt? Wen selber entdecken? Man webt sich da doch erst ganz allmählich in ein größeres Geflecht, in eine bestehende literarische Textur hinein. Das hat schon einige Jahre gedauert, bis wir im literarischen Leben, sprich im Literaturbetrieb einigermaßen angekommen waren.
So richtig haben wir unsere „Ankunft“ daselbst erst im fünften Jahr unserer Existenz gespürt, 1996, mit dem großen Erfolg Manfred Zachs, seinem Politroman Monrepos oder Die Kälte der Macht. An diesen starken Roman sind wir gleichermaßen glücklich gefügt geraten. Weil nämlich größere Verlage sich an dieses Buch politisch nicht so recht trauten. Das Buch lag zuletzt bei S. Fischer in Frankfurt und weil S. Fischer zur großen Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe gehört und Manfred Zach hoher Beamter im baden-württembergischen Staatsdienst war – er war der Regierungssprecher des Ministerpräsidenten Lothar Späth –, damit war das Buch gleichsam ein ganz heißes Buch, ein wirklich sehr heißes Eisen; auch beamtenrechtlich. Klaus Meyer und ich sind damals relativ einfältig und gutmütig ans Werk gegangen und haben bloß auf die Kraft des Erzählerischen gesetzt. Ich habe damals kaum durchschaut, welche politische Wucht, welcher Zündstoff in diesem Roman steckte.
Allzu abgebrüht darf man nicht sein, bevor man einen Verlag gründet? Wenn man alle Tücken des Betriebs kennt, bringt man gar kein Buch mehr heraus?
Das ist nicht schlecht, das ist gut formuliert, ja. Ich glaube, so wie es uns ging, geht es vielen jungen Verlegerinnen und Verlegern. Es gehört eine herzhaft naive Leidenschaft dazu. „Wir schaffen das“, man glaubt ans gute Buch, ans schöne Buch, und hat das Gefühl, hat die Hoffnung, mit Literatur etwas zu bewirken. Diese Naivität bringt einen überhaupt erst zum Handeln. Irgendwann stößt man sich den Kopf schon von selber an. Und man stößt ihn sich überhaupt immer wieder an. Aber freilich gibt’s halt auch immer die verlegerische Freude und Lust, zu erleben, zu spüren, wie sich aus einer ersten Idee etwas Größeres, Stärkeres entwickelt. Wie eine Autorin, ein Autor ihr resp. sein Thema, seinen Erzählton findet. Verlegerinnen und Verleger sind Hebammen auch.
Erzählen Sie von einem Fall, bei dem Sie sich den Kopf angestoßen haben.
Das erste Mal geschah’s uns mit Raimund Hoghe, seinerzeit freier Journalist bei der Zeit resp. für die Zeit, Dramaturg für Ina Bauschs Tanztheater. Ein einfach mögenswerter, sehr empathisch-sensibler Mann. Sein Manuskript, seine gesammelten Porträts besonderer, nicht unbedingter prominenter Menschen, kleine Glanzstücke der Essayistik, wollten wir unbedingt zum Buch machen, auf wundersame Weise war ich ans Manuskript gekommen. Klaus Meyer und ich haben ihn extra in Düsseldorf besucht, ein schöner Ausflug, ein gutes und intensives Gespräch. Euphorisiert und guter Dinge fuhren wir wieder heim. Aber, leider, das Buch erschien dann anderswo, ich glaube bei Quadriga? Solch schmerzliche „Kopfnüsse“ haben wir am Anfang einige bekommen. Tatsächlich war man am Anfang unserer Verlegerei von unserer Tübinger Bücherleidenschaft allüberall überaus angetan. Aber wenn es dann richtig um den Vertrag und ums Honorar nebst Vorschuss ging, da haben wir schon ein paar Male eher alt ausgesehen. Später wurde und war es dann anders, allmählich drehte sich das zu unseren Gunsten.
Bei aller Naivität und dem Glauben an das gute Buch – gab es auch handfeste Prinzipien, nach denen Sie Manuskripte ausgewählt haben?
Unser Prinzip am Anfang war, nur Bücher zu machen, hinter denen wir qualitativ „aufrecht“ stehen konnten, die uns selber „erreicht“ haben, die für uns Charme und Kraft und Wert hatten.
Drum nochmals zurück, vorhin war schon die Rede davon: Zu der Zeit, als wir mit drei engagierten Compagnons Klöpfer & Meyer gegründet haben, 1991, da leitete ich (nach einigen Jahren als Lektor) bereits einige Jahre den Attempto Verlag, den Wissenschaftsverlag der Universität Tübingen; Klaus Meyer arbeitete in der Zeit schon zwei, drei Jahre als freier Hersteller und Setzer für den Verlag.
Also so gänzlich naiv und blauäugig sind wir dann doch nicht ins eigene Verlagsgeschäft eingestiegen. Aber ja, es stimmt, es ist ein gehöriger Unterschied, ob Sie „mit Geländer“ einen Verlag als vertragsangestellter Verlagsleiter im Auftrag führen oder ob Sie als quasi Selbstverleger „ohne Geländer“ auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko operieren. Ein Spagat, ein Abenteuer.
Apropos Spagat: Sie sprechen von Büchern, die Sie selbst gerne lesen würden. Sie haben einmal gesagt, dass es Ihnen auch immer darum gegangen sei, „gehörig politisch“ zu wirken. Was meinen Sie damit konkret?
Von Anfang an haben wir auch Bücher gemacht, die heftig diskutiert, heftig umstritten waren. Wir waren der Verlag, beispielsweise, der zwei Bände über den NSU gemacht hat. Für diese Bücher haben wir sehr viel Lob und ordentlich Schulterklopfen bekommen, aber wir – und auch die Autoren – sind von Rechtsaußen ziemlich angeschossen worden. Das zweite NSU-Buch hat gar auch eine juristische Auseinandersetzung zur Folge gehabt. Es drohte uns eine einstweilige Verfügung eines Neonazis, die wir freilich dank einer souveränen Richterin abwenden konnten. Oder wir machten zum Beispiel ein so mutiges, ein so glänzend besprochenes wie sehr umstrittenes Buch, in den späten 90er Jahren: Peter Roos’ Philippika, seine Abrechnung: Hitler lieben. Roman einer Krankheit. Hoch- und runterbesprochen in schier allen großen deutschen Zeitungen, Süddeutsche, Zeit, FAZ, taz, NZZ, im Rundfunk. Da kriegten wir – es war die Zeit der Republikaner in Deutschland – auch richtig Gegenwind.
Und wir verlegten auch einmal ein dekuvrierend-kritisch-witziges Buch, das im Titel den berühmt-berüchtigten Baden-Württemberg-Slogan aufnahm: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“. Unser Buch, mehrfach aufgelegt, hieß bissl frotzelnd, provokant: Wir können alles. Filz, Korruption und Kumpanei in Baden-Württemberg. Dieses Buch hat in Stuttgart und im Ländle nicht wirklich allen gefallen. Auch da hatten wir uns gegen eine angedrohte einstweilige Verfügung zu wehren. Da kam’s dann für uns aber zu einem gut annehmbaren Vergleich.
Sie erzählen das gleichfalls ein wenig schelmisch. Sie haben offenbar auch immer Spaß daran gehabt, Staub aufzuwirbeln? Wenn man Gegenwind bekommt, macht man auch etwas richtig?
Ja, natürlich, das Wort „aufmüpfig“ kommt mir da in den Sinn: Ein wenig Stachel im Fleisch zu sein. Denken Sie an Joachim Zelters Schule der Arbeitslosen. Das erschien in der bitteren Zeit, als Deutschland „Hartzland“ wurde – und es war ein richtig bissig-satirischer Roman, der auch zum Theaterstück avancierte. Wie mit den Millionen Arbeitslosen „fertigwerden“, umgehen, sie auffangen? Joachim Zelters bitterböse Idee: „Man“ kaserniert sie quasi, man gehirnwäscht sie – bis zur gewünschten Einsatz- und Funktionsfähigkeit. Ein Roman, bei dem einem das Lachen im Halse stecken blieb. Die Würde des Menschen ist antastbar – und ist ein Konjunktiv.
Daneben sind vor allem gute Essays immer wieder Offenbarungen, intellektuelle. Über viele Jahre brachten wir eine beherzte, schöne, auch wegen ihrer Buchästhetik sehr gelobte Reihe, schlank, flaschengrün, sie hieß Promenade, wurde herausgegeben von Gert Ueding, Walter Jens’ Nachfolger auf dem Tübinger Rhetorik-Lehrstuhl. Sein und unser Versuch in klassischer Essayistik – und ja, auf diesen Versuch bin ich verlegerisch immer noch stolz.
Wie stehen Sie zum Verhältnis von Ästhetik und politischer Botschaft in der Literatur? Muss man sich in diesen aufgeheizten, stark polarisierten Zeiten auch als Verlag eindeutig politisch positionieren, um gehört zu werden und vielleicht sogar, um auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein?
Nein, das glaube ich, muss man nicht. Das will ich nicht behaupten. Sicher nicht. Die bisweilen leidigen Dispute über eine sogenannte littérature engagée sind hinreichend bekannt. Aber es gilt: Wir jedenfalls wollten uns einmischen. Mit Fleiß wie man im Schwäbischen sagt. Denn für mich hat Literatur per se mit inter-esse, mit Anteilnahme und Einmischung zu tun: ästhetisch wie gesellschaftspolitisch. Das ist schon ein zentraler Aspekt, eine Grundbedingung meiner auch jetzigen Programmarbeit.
Sie haben deutlich gemacht, von welcher Seite der Gegenwind kam. Wenn jetzt aber ein erzählerisch ansprechender Band von Botho Strauß oder Monika Maron bei Klöpfer & Meyer hätte verlegt werden sollen…
Dann hätte ich sie wohl zu S. Fischer geschickt (lacht).
So jemanden hätten sie nicht verlegt?
Ich habe Monika Maron mit ihren frühen Arbeiten durchaus geschätzt, sehr geschätzt. Und ich erinnere mich auch daran, wie ich vor ungefähr 40 Jahren die ersten Botho-Strauß-Bücher gelesen, mir sozusagen wie süchtig „hineingezogen“ habe – Kalldewey, Farce und Paare, Passanten – da war Botho Strauß ein junger Autor – und ich ein junger Leser. Kein Zweifel, dass Botho Strauß schreiben kann und immer was zu schreiben hatte. Aber die Entwicklung, die er genommen hat: Meine war’s, ist’s nicht. Will sagen: Mit dem frühen Botho Strauß hätte ich verlegerisch gut können, aber mit dem späteren? Eher nicht. Ziemlich sicher nicht.
Aber Botho Strauß hat ja dann z.B. vor zwei Jahren mit Zu oft umsonst gelächelt einen Band vorgelegt, der sich ganz ähnlich wie Paare, Passanten mit Beziehungs- und Begegnungsmomenten auseinandergesetzt hat. Politisch unverdächtig. Kann man diese Trennung machen? Oder ist Botho Strauß für Sie seit dem Anschwellenden Bocksgesang gestorben?
Nein, er ist nicht gestorben für mich. Manche Sachen, so sagt’s mein Autorfreund Walle Sayer immer: Manche Sachen sollten man bloß „mit einer Praline auf der Zunge“ sagen, vorsichtig also. Aber seit dem Bocksgesang jedenfalls habe ich kein Botho Strauß-Buch mehr gelesen. Ähnlich geht es mir auch mit Martin Mosebach.
Der ist auch hinüber?
Wie gesagt…
Der neue Roman soll aber, nachdem, was man so hört, wieder sehr spannend sein.
Ich weiß, drum sag never nie. Man kann, könnte ja auch Wiederbekehrungserlebnisse haben, vielleicht probiere ich’s mit dem Krass, seinem neuen Roman, ja doch noch. Wobei, Lesestoff habe ich grade genug.
Lassen Sie uns zu einem anderen Thema kommen und über die Zukunft des Verlagswesens im deutschsprachigen Raum sprechen. Gibt es in zehn Jahren noch unabhängige Verlage oder nur noch ein paar Großkonzerne und alles andere hat Amazon geschluckt?
Das ist ja jetzt schon so. Zu Random House gehören annähernd 50 bedeutende deutsche Verlage. Zu Holtzbrink auch schier ein Dutzend. Ihre Frage, ich kann sie nicht schlüssig beantworten, ich weiß es nicht wirklich. Die Probleme und Widerstände mit denen wir Verlage – die kleineren und die ganz kleinen – zu kämpfen haben, die sind groß bis riesig. Aber auf der Zunge liegt’s mir schon, zu sagen: Aber natürlich – und auf jeden Fall gibt es die kleineren und kleinen Verlage in zehn Jahren noch. Schauen Sie sich die unabhängigen Verlage im Umfeld der Kurt-Wolff-Stiftung an: lauter gute Qualität. Womöglich kommt sogar gerade jetzt, „nach der Seuche“, deren Zeit. Die kleineren bis kleinen unabhängigen Verlage sind nicht nur jetzt schon wichtig, sondern, das glaube ich felsenfest, sie werden gar immer wichtiger. Es lebe die Diversität, das Bibliotop.
Und jetzt in der Seuche, das gehört dazu, haben sich insbesondere doch auch die kleineren, kleinen und inhabergeführten Buchhandlungen beweglich gezeigt: mit ihrer Beharrungskraft, ihrem Charme und Engagement, ihren Ideen. Was sind dagegen schon Amazons kalte Algorithmen?!
Den Eindruck können wir nur teilen. In den Städten, in denen wir leben (Osnabrück und Freiburg), haben wir ebenfalls sehr engagierte Buchhändler, die sich viel Mühe geben und die Bestellungen teilweise noch am selben Tag zur Verfügung stellen. Da kann Amazon gar nicht mithalten. Das ist die Rolle der Buchhändler. Wie kann man aber als Verlag gegen diese Marktmacht angehen?
Wann und wo ich nur kann, da sage ich: Bestell deine Bücher über deine lokale Buchhandlung, die ist genauso schnell. Und sie ist nachhaltig, und zahlt ihrer Stadt die Gewerbesteuer, die sie fürs größere Gemeinwesen dringend braucht. Und überhaupt: Wer war schon einmal bei einer Amazon-Lesung? Drum bin ich auch immer so dermaßen irritiert, wenn Autoren so gutgläubig auf ihr Amazonranking gucken, als wär’s eine Offenbarung wie auf Moses’ Gesetzestafel.
Sie bringen Amazon noch auf Gedanken! Wo sie jetzt schon eigene Bücher machen, fangen sie vielleicht bald auch damit an, Lesungen zu veranstalten. Wenn sich Amazon in ein paar Jahren als Verlag etabliert hat, könnte es doch sein, dass sich ein Autor angesichts der Marktmacht des Konzerns überlegt, sein Buch dort herauszubringen. Er will ja schließlich, dass sein Buch gut verkauft wird. Im Moment ist das Geschäftsmodell offenbar noch ein anderes und es wird eher Self-Publishing-Schund verlegt. Aber über Schund kommt man dann irgendwann, ich weiß nicht, vielleicht zu Sebastian Fitzek…
Das haben jetzt Sie gesagt!
…und dann vielleicht zu anderen Arrivierten.
Tja, ich kenne in meinem Freundeskreis, eigentlich sind das lauter IntensivleserInnen, wirklich kaum eine und kaum einen, die oder der über Amazon Bücher bestellt. Die meisten hängen doch an der Buchhandlung ihres Vertrauens. Da kriegen sie persönliche Empfehlungen, da gibt’s Geistesverwandtschaft.
Und genauso auf die Verlegerei bezogen: Ich fiele gleichsam vom literarischen Glauben ab, d.h. ich kann mir’s beim schlechtesten Willen einfach nicht vorstellen, dass unter richtig guten, gestandenen Autoren eine oder einer begeistert sagen mag: „Mein Verleger heißt Amazon! Ihm habe ich mich versprochen, bis der Misserfolg uns scheidet.“
Mark Twain, er kommt mir grade in den Sinn: „Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“ Aber Amazon, der Haifisch, der Wolf im Schafspelz: als guter Verleger? Mir nicht vorstellbar.
Stichwort Qualität: Sie haben mehrfach hervorgehoben, dass die unabhängigen Verlage für die Vielfalt im Buchmarkt sorgen. Die meisten Preise und auch das größte Kritikerlob erhalten dennoch häufig Titel aus großen Verlagen. Machen die Großen doch die besseren Bücher? Vielleicht weil sie einfach mehr Mittel zur Verfügung haben?
Den letzten Satz will ich unterschreiben, unterstreichen, den vorletzten nicht. Klöpfer & Meyer war viele Jahre förderndes Mitglied der Kurt-Wolff-Stiftung. Und, da bin ich mir ziemlich sicher, wenn die kleineren Verlage dieses „Vereins“ mehr Finanz- und damit mehr Marktmacht hätten, stünden sie mit ihren AutorInnen auf den Preispodesten und Bestsellerlisten auch weiter oben.
Ich behaupte: Die kleineren bis ganz kleinen Verlage sind meist die eigentlichen Entdecker- und Experimentierverlage, und sind selber ihrerseits darauf angewiesen, dass die Buchhändler, die Kritiker, die Leser sie entdecken: ein gleich dreifaches Nadelöhr.
Wir konnten uns richtige Werbung nur bedingt leisten. Im Grund haben wir sie uns vom Munde abgespart. Und in der Literaturkritik wollen alle nur immer zuerst den neuen Wells oder Walser oder die Zeh oder Doris Dörrie besprechen oder was gerade en vogue ist. Aber darüber hinaus: Kritiker wollen auch Entdecker sein. Und in diese 10–15%-Vakanz hineinzugrätschen, hineinzurutschen – immer wieder ist’s uns ganz gut gelungen.
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Grätsche?
Ein Beispiel: Ich habe ein ganz gutes, leicht freundschaftliches Verhältnis zu Michael Krüger, dem früheren Hanser-Verleger, der uns vor Jahren einmal auf eine Autorin aufmerksam gemacht hat bzw. sie uns vermittelt hat, weil Hanser sie nicht bringen konnte. Alle ihre drei Bücher bei uns standen je zwei, drei Monate weit oben auf der SWR-Bücherbestenliste – und einigermaßen gut verkauft haben sie sich auch.
Weshalb konnte Hanser die Autorin nicht bringen?
Hanser, so habe ich’s in Erinnerung, war wohl gerade „überprogrammiert“, sowas passiert, passierte mehrmals auch bei uns, die Autorin hätte deshalb wohl zu lange aufs Erscheinen ihres ersten Buches warten müssen. Zudem war auch ein besonderes „Debüt-Risiko“ damit verbunden: Karin Kersten, renommierte Übersetzerin, hat ihr ganzes Leben, nur für sich selbst literarisch geschrieben; aus purer Freude am Schreiben. Nur wollte sie das nicht veröffentlichen, solange sie selber andere Autoren übersetzt. Die drei Romane lagen also unvollendet, noch unüberarbeitet in der Schublade. Als wir das erste Buch mit ihr gemacht haben, da war sie sozusagen gerade frisch im Ruhestand angekommen.
Sie war geschult an großen Autoren – Julian Barnes hat sie etwa übersetzt. Und diesen besonderen Hintergrund hat man ihr, ihrem Schreiben einfach angemerkt: eine schlagkräftige, schlagschreibende Autorin mit viel Phantasie, Mutterwitz, Sprachkraft. Als ich ihr erstes Manuskript auf dem Schreibtisch hatte, Die Aufgeregten, sie das erste Mal gelesen habe, war ich wirklich gänzlich hin und weg. Und sie später in Berlin zusammen mit der Literaturkritikerin Caroline Neubaur kennenzulernen – das machte eine richtige Charmeoffensive.
Auf welche Klöpfer & Meyer-Autoren sind Sie noch besonders stolz?
Richtig glücklich war ich, bin ich erst recht mit der fünfbändigen Gesamtausgabe Maria Beigs, die auch als buchästhetische Prachtausgabe gilt. Auch Maria Beig war eine Autorin, die sehr spät erst zum Schreiben fand. Ihr großes Thema: die Härte der Zeit, der langsame Untergang der „alten“ Dörflichkeit, der allmähliche Einbruch der größeren, städtischen Wirklichkeit ins Dorf – und was das alles, was dieser Umbruch mit den Menschen machte.
Zuvor war sie Lehrerin der Hauswirtschaft. Peter Hamm und v.a. Martin Walser haben sie entdeckt, vor drei Jahren ist sie hochbetagt gestorben.
Sie erschien zunächst in einem kleinen Verlag, Thorbecke in Sigmaringen. Dann ist Suhrkamp auf sie aufmerksam geworden. Und urplötzlich war Maria Beig eine Art Sensationsautorin. Ihr Schreiben, ihr Werk, ihr herber Eigensinn haben auch mich wahrlich erreicht, fasziniert: Dass die Kraft, die Potenz der Literatur nicht nur aus der gefühlten Jugendlichkeit kommt, sondern – bei ihr – spürbar aus der Fülle gelebten Lebens.
Jugendlichkeit versus „Alterlichkeit“? Ich glaube, ich war immer in beide Richtungen offen. Inzwischen aber – das merke ich in meinen Endsechzigern durchaus – fällt es mir doch ein bisschen schwerer, die Gewichtigkeit und den Impetus der ganz jungen Literatur an- und aufzunehmen. Die literarische Generationendurchlässigkeit, die ist nicht mehr so gegeben wie früher, ahne ich. Günter Grass hat mal gesagt: „Der Autor wird mit seinen Lesern alt.“ Und ich glaube, das gilt für Verleger genauso: der Verleger wird mit seinen Autoren alt.
Da haben Sie uns jetzt ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen. Wir wollten nämlich eigentlich ganz kritisch nachfragen, warum im schönen Programm der Edition Hubert Klöpfer bei Kröner (ab Seite 14 der Frühjahrsvorschau) gar keine jüngeren Autoren dabei sind.
Das ist eine Frage der Perspektive. Die sind beinahe fast alle jünger als ich! Und gemach: Wir haben schon einen Blick auf die Jugend. Und man möge das jetzt durchaus, auf diesem Weg, auch als Einladung an dieselbe verstehen…
Kommt da denn noch etwas nach?
Doch, ja, da kommt noch was nach. Buch für Buch. Durch die ganze Gemengelage des letzten Jahres, der letzten Monate war’s relativ unklar, wie’s denn jetzt genauerhin weitergeht. Ziemlich genau vor etwa einem Jahr gab’s einen langen Moment, an dem ich wirklich gedacht habe: Das war’s, jetzt ist bzw. jetzt mache ich einfach „Feierabend“. Und dann kam aber über beide Verlage, Hirzel und Kröner, für die ich jetzt das Programm (mit-)bereite, wie gefügt die Chance, meine „verlegerliche“ Kontinuität zu halten. Die Chance, mit Alfred Klemm vom Kröner-Verlag (Titelfoto) die literarische Edition Hubert Klöpfer aufzubauen, die war und ist schon „freudig“. Und war und ist auch eine „freudige“ Chance im Sinne meiner großen Autorenschaft. Denn für mich war das schon eine ziemliche Belastung: Wenn ich aufhöre, würde es wohl für all meine AutorInnen in unserer bedrängten Branche nicht so einfach, einen neuen guten Verlag zu finden.
Vielleicht bin ich ein bisschen altmodisch beim Thema Autoren- und Verlagstreue. Aber wenn ich bislang eine Autorin, einen Autor unter Verlagsvertrag nahm, dann war mit diesem Schritt immer auch klar: Wenn sie/er/wir uns nicht verkrachen, dann nehme ich den ersten Vertrag wie eine Art Verlobung. Und das beinhaltet für mich zudem, dass man manchmal als Verleger auch in die Situation gerät, Bücher gewissermaßen aus Treue und Verbundenheit zu machen, von denen man deutlich ahnt, dass sie nicht das ganze Optimum bringen, zu dem die Autorin oder der Autor eigentlich in der Lage ist. Aber es gibt einen Entscheidungszeitpunkt, da muss man als Verleger „springen“, da muss man entschieden „hü oder hott“ sagen, ja oder nein. Vor einiger Zeit gab’s bei uns solch ein problematisches „Entscheidungsdilemma“, da ging es um ein wahrlich kompliziertes Manuskript, wir haben es sehenden Auges trotzdem gemacht, es ist auch ordentlich gut gegangen. Zum wiederholten Mal die Lehre daraus: Irgendwann kann man nicht nochmals in einen dritten, gar vierten Lektoratsgang gehen. Mein Credo: Man hat verlegerlich auch zu würdigen, was auktorial dezidiert gewollt, „so geschaffen“ ist.
Ihre Ausführungen waren in weiten Teilen ein Loblied auf die Arbeit der kleinen, unabhängigen Verlage. Wir sind uns alle einig, dass der Erhalt dieser Szene, dieser Vielfalt, ein wichtiges Ziel sein sollte. Nun gibt es Programme wie den von Monika Grütters initiierten Deutschen Verlagspreis, der jetzt seit drei Jahren Verlage auszeichnet – im letzten Jahr 63. Wenn man sich ansieht, wie viele unabhängige Verlage es in Deutschland gibt, wird man finden, dass da etwa jeder dritte oder vierte Verlag mit diesem Preis ausgezeichnet wird. Ist das nicht eigentlich eine als Preis getarnte Subvention und deshalb ein wenig peinlich? Was wäre der Weg, um die Verlegerszene politisch zu unterstützen? Müsste man vielleicht sogar auf breiterer Basis und offen über Subventionen nachdenken?
2018, im Zusammenhang mit der sich für meinen Verlag abzeichnenden „Nachfolgerlosigkeit“, wurde ein Tübinger Memorandum von Hermann Bausinger und Thomas Knubben geschrieben, in dem es genau um diese Frage ging. Ja, ich kann Ihre Frage und Skepsis verstehen.
Auch als Verlagsunternehmer zuckt man zunächst zusammen, wenn denn da irgendetwas subventioniert, „hilfsweise befördert“ werden soll. Fördergeld, Subvention und Unabhängigkeit: Geht das zusammen? Da gibt’s, wohl wahr, eine große Ambivalenz in mir selber. Die österreichischen Verlage beispielsweise werden ja unglaublich arg gefördert. Da fließen schon mal, hört man, 100.000–120.000 Euro in ein kleines Programm. Oder das Schweizer Beispiel, auch der Diogenes-Verlag erhielt jahrelang (so zumindest geht die Kunde) eine Finanzierung für seinen Buchmessestand in Frankfurt. Bei uns unvorstellbar: ein geförderter Buchmessestand. Gar noch für solch einen großen und starken Verlag.
Da sie gerade Österreich ansprechen: Kleine Verlage wie etwa Jung & Jung oder Kremayr & Scheriau haben ja in den letzten Jahren wirklich tolle Programme gemacht, die auch ein großes Echo erzeugt haben. Vielleicht sind Subventionen für Verlage also tatsächlich eine Erfolgsgeschichte?
Jung & Jung macht zweifellos ein richtig gutes, starkes Programm, hinter dem ein erfahrener, versierter Verleger steht. Aber so viele gute Bücher, dass sie beinahe jedes Jahr wieder auf der Long- und auch Shortlist des Deutschen Buchpreises stehen, das ist schon großartig bis überraschend!
Was fällt mir zu Ihrer Frage ein? Ich meine, man müsste über die Verlage eine hinreichende, zweckgebundene Autorenförderung installieren, sodass junge, unbekannte Autoren, ohne in das ordinäre Druckkostenzuschussgetriebe zu geraten, die Chance haben, ihren Verlag zu finden. Und die Verlage müssten mit solch indirekter Förderung wiederum eine Entwicklung nehmen können, dass sie mit ihren jungen und unbekannten AutorInnen nach einer gewissen Zeit auf dem Markt bestehen können. Mich hat das immer erschreckt, wie es in Deutschland, eben in der Phase, als wir angefangen haben, noch ganz so war, dass von zehn Verlagen, die sich frisch gegründet haben, nur einer durchgekommen ist, sich länger als drei Jahre auf dem Buchmarkt gehalten hat.
Die Rolle der Literaturkritik haben wir bis jetzt noch ein wenig außen vorgelassen. Was würden Sie sich als Verleger heute von der Literaturkritik wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass die Kritik zwar keine literarische „Instanz“ ist, aber doch ein ordnendes Regulativ, dass sie Gewicht bekommt und verdient und hat, wenn sie Entwicklungen aufnimmt, nachzeichnet, wenn sie begründet bespricht, nicht nur Geschmacksurteile abgibt – und die literarische Debatte anstößt, das größere künstlerische wie literarische Leben bewegt.
Während meines Studiums in den Siebzigern war es noch üblich, dass die ZEIT gegensätzliche Doppelbesprechungen erscheinen ließ. Da wurde gestritten, da wurden buch- und literaturästhetische Kontroversen ausgetragen. Tempi passati. Manchmal habe ich das Gefühl, Literaturkritik mutierte zum verlängerten Arm der Werbeabteilungen oder Presseabteilungen von Verlagen. Da tue ich jetzt vielen Kritikern Unrecht. Aber viele normale Feuilletons schreiben halt schnell ab, was die dpa auch gebracht hat. Manche drucken Klappentexte ab und schreiben noch ein paar Wörter dazu.
Das mit dem simplen Klappentextabdruck haben Sie auch schon erlebt?
Ja, natürlich. Ich habe schon oft schöne Sätze von mir in der Zeitung gelesen, ja. Sie wissen doch auch, wie die Pressearbeit der Verlage funktioniert – und natürlich, auch wir hätten gerne mehr Einfluss genommen…
Aber wenn Sie als Kritiker zum Geburtstag eine gehobene Flasche Cognac geschenkt bekommen oder auf der Buchmesse „exklusiv“ zum ausgewählten Kritikerempfang eines Verlags geladen werden – so macht das zwar noch keinen Wochenendurlaub auf Ibiza, wie ihn die Pharmaindustrie verteilt, aber es hat halt alles sein Degout, sein Geschmäckle, wie man im Schwäbischen sagt. Kann man da als Kritikerin und Kritiker im Urteil noch frei sein? Ich kenne drei, vier KritikerInnen – das macht mir Eindruck –, die die Bücher, die sie besprechen, selber kaufen. Das ist immerhin der Versuch, sich Unabhängigkeit zu bewahren.
Sehr löblich.
Ja. Aber natürlich müssen auch wir als kleinerer Verlag zu „schieben“ versuchen, uns aufmerksam machen, ins rechte Licht setzen. Ein moralisches Dilemma auch das…
Allen Befürchtungen und Krisen zum Trotz: Die Menschen lesen immer weiter und kaufen sich Bücher – offenbar sogar die Kritiker. Was, meinen Sie, hat der Mensch an der Literatur?
Für mich war und ist die Literatur immer wieder wie eine „Horizontöffnung“, Denk- und Fühl-Verführung. Ein Teilhabendürfen an dem, was andere für sich entdecken, für sich entwickeln. Ich glaube, das hat sich mein Lebtag durchgehalten. Ich habe Ernst Bloch gerade noch in meinem ersten Semester Philosophie erlebt, gehört – Über Das Prinzip Hoffnung könnten wir jetzt lange miteinander nachsinnen. Aber sein Kerngedanke, dass da etwas am Wachsen ist, im „Vorschein“ ist, der Gedanke, diese Vorstellung fasziniert mich schon immer und immer noch – und als Verleger habe ich die Möglichkeit und das Privileg, solche Fährten früh aufzunehmen.
Für mich hat Literatur nichts mit Bestätigung von schon Selbstgedachtem zu tun, sondern immer mit Drüberhinausdenken. Nochmals, das genau war und ist das Schöne für mich als Verleger, das macht die Freude und die Lust am Verlegersein: teilhaben zu dürfen an Entwicklungen, die andere nehmen, sie zu befördern, zu begleiten, zu ermutigen.
Weil das menschliche Grundbedürfnisse sind, glauben Sie, dass wir schon noch ein paar Jahrzehnte etwas von der Literatur haben werden?
(Lacht) Ja. Jedenfalls werde ich den womöglichen literarischen Untergang (hoffentlich) nicht mehr erleben. Die Lust am Untergang: auch so ein deutsches Phänomen…
Das beruhigt uns nicht so sehr, wenn Sie immer betonen, dass Sie bald raus sind!
Ja, das sagen mir meine AutorInnen großteils auch. Also gut, ich denke darüber nochmals nach. Aber ich habe jetzt fast 40 Jahre als Lektor, Rezensent, als Verleger gearbeitet. Dazwischen hat sich wahrlich viel gewandelt, natürlich auch bei mir. Aber was sich gewiss nicht verändert hat: meine Freude an Büchern, meine Lust auf Bücher. Vielleicht ist Literatur ja auch ein Eroticum? Sind Leserinnen und Leser nicht auch klammheimliche Voyeure? – Elias Canetti: „O ein Buch sein, ein Buch, das mit solcher Leidenschaft gelesen wird!“
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Joachim Zelter: Schule der Arbeitslosen
Klöpfer & Meyer 2017
205 Seiten / 20 Euro
Gert Ueding: Herbarium, giftgrün
Edition Klöpfer 2021
340 Seiten / 24 Euro
Foto: Yvonne Berardi
Ein Kommentar zu „Interview: Literatur als Einmischung und Eroticum“