„Spezieller Narr vor seinem speziellen Narrenkasten“ – Peter Handke: Zwiegespräch

Von Pascal Mathéus

Peter Handkes neues Buch ist ein Interview des Autors mit sich selbst. Als letzter Mohikaner, dem die Sprache noch etwas bedeutet, inszeniert sich der Nobelpreisträger in Zwiegespräch. Für ein so dünnes Buch wird etwas wenig erzählt und dafür umso mehr lamentiert.

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Anfangs will es nicht so recht ins Laufen kommen, das Gespräch mit sich selbst. Viel durch Kommata Abgehacktes findet sich auf den ersten Seiten. Über manche gestelzte Formulierung muss der Leser hinüberstolpern, bis sich ab dem zweiten Drittel allmählich ein Erzählfluss einstellt. Dann erfreut Handke seine connaisseurs mit einigen hübschen poetischen Einfällen. Ob das jedoch einen Band in der renommierten Bibliothek Suhrkamp rechtfertigt?

Vermutlich wäre das Buch nicht nur nicht in der Bibliothek Suhrkamp erschienen. Vielmehr hätte sich wahrscheinlich überhaupt kein Verlag gefunden, wenn sich nicht ein großer Name und der Hinweis „Nobelpreis“ auf den Klappentext hätte drucken lassen. Allzu flüchtig sind die Sätze und Gedanken dieses Notizbuchs, in dem es vor allem um Texte geht, die Handke gerne geschrieben hätte – und warum er sich dazu nicht in der Lage sah.

Wohlwollend könnte man ihm unterstellen, dass es Zweifel waren, die zu der Entscheidung führten, die Form des Dialogs mit sich selbst zu wählen. So mutet sich Handke die eine oder andere kleine Kritik in dem Bändchen zu. Gleichzeitig könnte sich hinter dem Anschein der Demut aber auch die Annahme verstecken: Wenn einer Handke kritisieren darf, dann Handke selbst. Die anderen wissen ja doch nicht, wovon sie reden.

„Da gibt es nichts mehr zu erzählen. Oder jetzt, da du mir kommst mit deinem ‚Erzähl!‘, vielleicht doch.“ Wer hat hier gefragt? Handke erteilt sich selbst das Wort, nachdem er freundlich, aber bestimmt darum gebeten hat. Eine Geste der Selbstironie oder der Nachweis eines bemerkenswert ausgeprägten Autismus’? 

Und doch sind die Schlaglichter, die Handke auf die Geschichte seines Großvaters wirft, interessant. Es blitzt auf, dass da womöglich ein Stoff schlummert, dem Handke dramatisch oder episch etwas entlocken könnte. Schade, dass er den Mut oder die Kraft, die es dazu bräuchte, offenbar nicht mehr aufbringt.

„In deinen Theatern war die Dramenzeit, die Dramensprachzeit, wenn nicht überhaupt die Sprachzeit, die Zeit der Sprache, ‚Sprache!‘, fürs erste jedenfalls, vorbei. War? Ist?“ Zwar entgegnet Handke 2 seinem alter ego, das sei „Blödsinn“, jedoch liest man zwischen den Zeilen so etwas wie: ‚Du wirst schon rechthaben, alter Haudegen, warum sonst wäre dazu nichts Bedeutendes vor Dir zu Papier gebracht worden?‘

Wer jedoch behauptet, die Zeit der Sprache sei vorbei, der deutschen zumal, gibt vor allem anderen zu erkennen, dass er nicht besonders viel von der hervorragenden deutschen Gegenwartsliteratur kennt. Dass er Autoren wie Sibylle BergMaxim BillerDorothee ElmigerJudith HermannAbbas KhiderChristian KrachtEva Menasse, Clemens Setz oder Saša Stanišić einfach nicht gelesen hat. Andernfalls wüsste er, wie es um die deutsche Sprache steht: Sie ist vital, vielgestaltig, wandlungsfähig und in guten Händen. Auch ohne neues Handke-Drama.

Wenn sich Handke so bockig über die ungünstigen Zeitumstände für die dramatische Kunst beschwert, könnte einem Maxim Billers Aufsatz über Identitätspolitik in den Sinn kommen, den der Schriftsteller 2020 in der Zeit veröffentlicht hat. Statt die äußeren Umstände zu beklagen, käme es für den Künstler schlicht darauf an, eine überzeugende künstlerische Arbeit abzuliefern, schreibt Biller: „Und bevor Chimamanda Ngozi Adichie oder Zadie Smith nach einer Frauenquote auf den Katalogseiten ihrer Verlage oder bei den Rezensenten ihrer Bücher rufen, schreiben sie lieber einen Roman, an dem kein Kritiker, Leser und Buchhändler vorbeikommt“. Wäre das zu viel verlangt für einen Nobelpreisträger?

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Peter Handke: Zwiegespräch
Suhrkamp 2022
72 Seiten / 18 Euro

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Foto: Couleur / pixabay.com

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