Von Pascal Mathéus
Alle reden über Kracht. Reden sie über einen Bluff? Kracht selbst wirft diese Frage in ‚Eurotrash‘ auf. Er stellt zur Disposition, ob der Schriftsteller mit dem Namen Christian Kracht überhaupt je etwas von Wert gesagt, geschweige denn zu Papier gebracht habe. Um über sich selbst und seine Herkunft Klarheit zu gewinnen, schnappt er sich seine Mutter und lässt sich von ihr auf einer Reise durch die Schweiz permanent für seine Nichtsnutzigkeit beschimpfen. ‚Eurotrash‘ ist wie alle Romane von Christian Kracht ein eigenartiges Buch.
In letzter Zeit ist häufiger die Frage diskutiert worden, was Literatur nicht soll. Clemens Setz warnte in seiner Klagenfurter Rede zur Literatur vor Texten, die ihre Leser „rekrutieren, abrichten oder verschicken wollen“. Gerade das nicht mehr nachvollziehbare Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit erscheint in dieser Rede als große Gefahr. Bei keinem anderen deutschsprachigen Schriftsteller ist die Unterscheidung von Fiktion und Wirklichkeit undurchsichtiger als bei Christian Kracht. Das gilt umso mehr für Eurotrash, als die Hauptfigur in dem neuen Roman den Namen Christian Kracht trägt.
Bei seiner Dankesrede für die Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis sagte Saša Stanišić in Bezug auf die Literatur von Peter Handke: „Dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht.“ Kein deutschsprachiger Schriftsteller legt sich die Welt bedenkenloser zurecht als Christian Kracht. Und sucht der neue Roman, in dem es um die Herkunft eines Schriftstellers namens Christian Kracht geht, nicht nach Gerechtigkeit für diesen mit einer unmöglichen Nazi-, Säufer- und Fetischfamilie geschlagenen Menschen?
Eurotrash schert sich nicht darum, was Literatur soll und was nicht. Stattdessen reagiert es auf die heißen Eisen der politischen und literarischen Diskussionen der Gegenwart, die sich seit einigen Jahren vor allem um die Themen Identität und Herkunft drehen, mit einer panironischen Inszenierung. Im Geflecht aus Widersprüchen, Selbstzitaten, Beschuldigungen und Anschuldigungen erscheinen diese Themen keineswegs als gelöst, sondern als die unlösbaren Wollknäule, die sie sind. Egal, wie laut die Vereinfacher das Gegenteil behaupten.
Die Reise nach Zürich ist für den Schriftsteller Christian Kracht, der sich in Eurotrash als Autor von Faserland zu erkennen gibt, Anlass, über seine Familie, seine Kindheit und seine Herkunft nachzudenken. Eine seiner frühen Erinnerungen gilt dabei seinem Versuch, „die gesamte Welt im Maßstab eins zu eins aus Lego nachbauen zu wollen“. Ego baut Lego. Der Versuch ist natürlich zum Scheitern verurteilt. Der autistische Größenwahn des Schriftstellers, der Weltenbauer sein will, der innige Wunsch, alles in den Blick zu bekommen sowie das notwendige Scheitern werden damit als unlösbare Probleme etabliert.
Kracht winkt schon mal mit dem Zaunpfahl, um die Eigengesetzlichkeit der Fiktion unter Beweis zu stellen. Es wird über scheinbare Belanglosigkeiten gelogen, wenn etwa von „sieben Flaschen Schweizer Weißwein von der Migros“ die Rede ist, obwohl die Supermarktkette Migros überhaupt keinen Alkohol verkauft, oder das „Kopfsteinpflaster“ am Paradeplatz beschrieben wird, der vollständig asphaltiert ist. Dadurch stellt sich die Frage umso dringlicher, welche von den viel abstruseren und damit ausgedacht klingenden Geschichten denn stattdessen der Wirklichkeit entsprechen.
Der Roman sichert sich nach allen Richtungen ab, indem er Vorbehalte vorwegnimmt und ihnen selbstironisch begegnet. Ein ironischer Umgang mit der Ironie des Schriftstellers Christian Kracht, der als großer Ironiker bekannt ist. Man sieht, wohin das führt. Die Gefahr der Endlosschleife ist im Kosmos Kracht real. Deshalb funktioniert die ironische Absicherung auch nicht als Immunisierung. Es bleibt hinter den nicht enden wollenden Spiegelungen ein Ungenügen zu spüren. Dass man aus dieser Welt kein Ganzes mehr machen kann, dass man beim Erzählen von ihr überall auf unüberwindbare Hindernisse stößt, gilt für die Verstrickungen der Weltgeschichte genauso wie für die eigene Familie. Wieso tut man es trotzdem immer wieder?
Etwa weil der Mensch ein Geschichten erzählendes Tier wäre? „Du erzählst das so spannend, als ob es wahr wäre“, lobt ihn die Mutter an einer Stelle und fordert ihn immer wieder auf, weitere Geschichte zu erzählen, um die Angst zu bekämpfen. Kracht kokettiert mit der Rolle des Schriftstellers als eines „genuinen Erzählers“ – ein Klischee, das in nicht wenigen Literaturkritiken vorkommt, gerne im Verbund mit dem Verweis auf die „Fabulierlust“ eines Autors. Seine Anekdoten erscheinen aber unterkomplex und kraftlos im Vergleich zu der großen Erzählung, in die sie eingebettet sind. Im Gegensatz zu ihnen hat sie eben keine Pointe. Oder in den Worten der Mutter: „Eine Geschichte, in der absolut gar nichts passiert, außer daß sich eine alte Frau ab und zu mir ihrem Sohn streitet.“
Oder etwa weil man sich und seine Familie schützen möchte? Noch so ein Klischee. Der Familienvater, der sich schützend vor seine Frau und seine Kinder stellt. Eurotrash ist Krachts Mutter, seiner Schwester, seiner Frau und seiner Tochter gewidmet. Das Motiv der Heilung der eigenen Geschichte kommt explizit vor. Der Erzähler will „ausbrechen […] aus dem Kreis des Mißbrauchs, aus dem großen Feuerrad, aus dem sich drehenden Hakenkreuz.“ Er will die eigene Belastung loswerden, um ein normales Leben führen zu können und kommt dabei nicht zur Ruhe. Der Tod erscheint mehrfach als einziger Ausweg aus dem großen Feuerrad.
Wie in den autobiographischen Büchern von Grass erweisen sich die Figuren, die dem Erzähler nahestehen, als widerständig und wollen sich nicht für seinen Zweck vor den Karren spannen lassen. So schleudert die Mutter ihrem Sohn an einer Stelle entgegen: „Ich bin nicht Repositorium für Deinen Seelenmüll!“ Anders als Grass inszeniert Kracht diese Auseinandersetzung aber nicht als Erinnerungsarbeit und allmähliches Vordringen zum „wahren Kern“ der Geschichte. Der Widerstand seiner Figuren gegen diese Utopie ist absolut. Die Mutter spricht in aller Härte vom „belanglosen Unsinn, wie Du ihn schreibst“.
Statt wieder nur Belangloses aufzuschreiben, widmet sich Kracht in Eurotrash zum ersten Mal direkt politischen Themen der unmittelbaren Gegenwart und stimmt ein in den Politkitsch, der sich selbst als Gegenwartskritik feiert, indem die immer gleichen Floskeln als Selbstgedachtes ausgegeben werden. „Direkt schuld an der ganzen Misere der Welt sind wir beide“, sagt der Erzähler mit Blick auf die Flüchtlingskrise. Dieser Satz, der so falsch und gleichzeitig so hilflos ist, produziert lauter neue Hilflosigkeit.
In einer Welt aus lauter Klischees, in deren Zentrum die neutrale Schweiz ruht, die ihren Reichtum durch Waffengeschäfte erreicht hat, ist es nur folgerichtig, dass die Mutter am Ende ihres Lebens einmal ein Edelweiß sehen möchte. Ein ganz furchtbares Bild für die Verkommenheit der Welt, dass als das Ergebnis dieser permanenten Spiegelungen herauskommt.
Würde man das alles anders lesen, wenn man um die Hintergründe des Schriftstellers Kracht nichts wüsste, der Text als reiner Text vorläge und nichts darüber hinaus? Das scheint eine widersinnige Frage zu sein, denn wer würde ein Buch kaufen, in dem es um den Erzähler eines anderen Buches geht, wenn er das erste – also Faserland – nicht kennen würde, und damit auch den ganzen Wirbel um die von Anfang an provozierende literarische Inszenierungstaktik von Christian Kracht. Abgesehen davon gibt es ohnehin kein kontextloses Lesen. Gerade das führen die Bücher Krachts ja ständig vor: Dass sich niemand mehr darauf verlassen kann, sämtliche Kontexte zur Verfügung zu haben, dass sich niemand mehr als „gebildet“ bezeichnen darf, scheint einer ihrer wichtigsten Antriebe zu sein.
Es wirkt so, als hätte Kracht mit dem neuen Buch die Grenzen des Ironischen endgültig erreicht. Man könnte auch sagen, das Spiel mit dem Ernst hat die Perfektion erreicht. Der Bluff ist das Wahre, der Spaß ist der Ernst, die Inszenierung die Realität. Es gibt nichts dahinter.
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Christian Kracht: Eurotrash
KiWi 2021
224 Seiten / 22 Euro
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Foto: Pat_Scrap / pixaybay.com
Super Rezension👍, Entweder liebt man den Stil oder nicht…..ijoma mangold meint es ist ein Meisterwerk…Denis Scheck sowieso😁…. P.S. das Detail vom Alkohol im Migros kann nur einem auffallen der hier lebt😏…. kracht wohnt ja jetzt auch bei uns daher sollte er das wissen…. hoffentlich kannst du nochmals ein Interview machen mit ihm👍
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