Narben im Sand – Svenja Leiber: Kazimira

„[…] wein, mein Söhnchen. Dass Du wieder weich wirst, sonst kannst du nicht leben.“ So beschwört Protagonistin Kazimira ihren Sohn Ake. Denn auch er trägt die Narben der Geschichte am eigenen Leib. In ihrem mittlerweile fünften Roman präsentiert sich Svenja Leiber als Autorin einer aufwändig recherchierten, nüchtern präsentierten und zugleich erschütternden Geschichte. Alles getragen von einer Frau, die, der Zeit enthoben, für viele weibliche Schicksale steht und einer Umgebung, die der Verwüstung ebenso ausgesetzt ist, wie die dort lebenden Menschen.

Hat die Literatur versagt? – Interview mit Uwe Wittstock

Was kann die Literatur leisten, wenn ein Diktator nach der Macht greift? Der Literaturkritiker Uwe Wittstock hat einen packenden Bericht über die ersten Wochen der Nazi-Diktatur geschrieben. Binnen weniger Wochen wurde damals die Öffentlichkeit gleichgeschaltet, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller mussten sich ad hoc positionieren. Nur wenige taten sich durch Zivilcourage hervor. Trotz aller Bitternis weiß Wittstock von kleineren und größeren Siegen der Literatur zu berichten.

Diese sehr ernste Inszenierung – Christian Kracht: Eurotrash

Alle reden über Kracht. Reden sie über einen Bluff? Kracht selbst wirft diese Frage in ‚Eurotrash‘ auf. Er stellt zur Disposition, ob der Schriftsteller mit dem Namen Christian Kracht überhaupt je etwas von Wert gesagt, geschweige denn zu Papier gebracht habe. Um über sich selbst und seine Herkunft Klarheit zu gewinnen, schnappt er sich seine Mutter und lässt sich von ihr auf einer Reise durch die Schweiz permanent für seine Nichtsnutzigkeit beschimpfen. ‚Eurotrash‘ ist wie alle Romane von Christian Kracht ein eigenartiges Buch.

„Das Ich wird am Du“ – Manfred Lütz: Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?

Otto Kernberg ist nicht nur einer der bekanntesten Psychoanalytiker unserer Zeit, er ist auch ein feinfühliger Intellektueller und Zeitzeuge mit bemerkenswerter Lebensgeschichte. Im Gespräch mit Manfred Lütz spricht Kernberg über sein Schaffen als Psychotherapeut, über seine Kindheit in Wien und seine Flucht vor den Nazis, über das Böse und das Pathologische, über Moral und Verantwortung, über das Glück, Kunst und Heimat. Dabei herausgekommen ist ein differenziertes, kluges Buch zu den großen, zeitlosen Fragen nach einem erfülltem Leben und gelingendem gesellschaftlichen Miteinander.

Interview: Gejagt von seinen eigenen Bildern

Günter Grass ist nun schon seit fünf Jahren tot. Sein Werk lebt allerdings als Schullektüre weiter. Der Steidl Verlag hat dem Schriftsteller zudem gerade mit der ‚Neuen Göttinger Ausgabe‘ ein prachtvolles Denkmal gesetzt. Was aber taugen seine Texte aus heutiger Perspektive eigentlich noch? Nicht so viel, wie gemeinhin behauptet wird, findet der Literaturwissenschaftler Jan Süselbeck. Dieser ist erst im Sommer aus Calgary zurückgekehrt, wo er für fünf Jahre als DAAD Associate Professor arbeitete. Dem Niedersächsischen Landesinstitut für Qualitätssicherung im Abitur hat Süselbeck gerade empfohlen, Grass von den Lektürelisten für das Abitur zu streichen. Grass-Fan Pascal Mathéus hat mit ihm per Videochat über Günter Grass gesprochen.

Befremdliches Schweigen – Hans Joachim Schädlich: Die Villa

Fünfundsiebzig Jahre nach Kriegsende schreibt Hans Joachim Schädlich das Buch ‚Die Villa‘ über das Leben einer vogtländischen Familie im Nationalsozialismus. Man könnte meinen: Das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt; erleben wir doch heute, wie rechtes Gedankengut teils ungehemmt aus diversen gesellschaftlichen Kreisen an die Öffentlichkeit dringt. Da braucht es Bücher, die dem entgegen stehen und laut aufzeigen, wie vermeintlich vergangene Strukturen reproduzierbar sind. Ist ‚Die Villa‘ solch ein Buch?