Hat die Literatur versagt? – Interview mit Uwe Wittstock

Von Pascal Mathéus

Was kann die Literatur leisten, wenn ein Diktator nach der Macht greift? Der Literaturkritiker Uwe Wittstock hat einen packenden Bericht über die ersten Wochen der Nazi-Diktatur geschrieben. Binnen weniger Wochen wurde damals die Öffentlichkeit gleichgeschaltet, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller mussten sich ad hoc positionieren. Nur wenige taten sich durch Zivilcourage hervor. Trotz aller Bitternis weiß Wittstock von kleineren und größeren Siegen der Literatur zu berichten.

Aufklappen: Glückwunsch zu Ihrem Erfolg mit Februar 33, lieber Herr Wittstock! Auch bei uns im Wetzstein war Ihr Buch ein richtiger Renner.

Uwe Wittstock: Das freut mich! Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leser sich dafür interessieren lassen. Ganz naiv gesagt: Man weiß ja aus dem Schulunterricht, wie die Geschichte ausgeht, die im Februar 1933 begann. Dass die Leute sich dann trotzdem für das Buch interessiert haben – und noch immer dafür interessieren –, finde ich toll.

Der Grund dafür scheint mir die Darstellungsform zu sein, die sie gewählt haben. Viele der Einzelschicksale sind zwar mehr oder weniger gut bekannt und präsent gewesen. In dieser dichten Zusammenschau gab es das allerdings noch nicht.

Mich freut es, dass es so funktioniert hat. Wenn es denn wirklich daran liegt, wie die Geschichte erzählt wird, dann fühle ich mich als Autor natürlich umso mehr geschmeichelt.

Vereinzelt gab es in der Kritik jedoch den Vorwurf, so spannend dürfe man diese Dinge nicht erzählen. „Reißerisches“ würde sich in dem Buch finden…

Ja, ich kenne diesen Einwand. Das erinnert mich an das in der deutschen Literatur weit verbreitete Vorurteil, gute Literatur dürfe nicht unterhaltsam sein. Dagegen habe ich mich schon immer gewehrt. Wenn das jetzt in diesem Fall wieder vorgebracht wird, darf ich mich nicht wundern. Ich bin einfach anderer Meinung. Ich finde, es ist kein Fehler, wenn eine gute Geschichte auch so gut erzählt wird, dass die Leute davon gebannt sind.

Darin sind sie ganz auf den Spuren Ihres literaturkritischen Lehrers Marcel Reich-Ranicki.

Ja, das stimmt. In diesem Punkt hat es bei uns keine Spannungen gegeben.

In anderen schon?

Gelegentlich, klar.

Es hat nicht so viel mit dem Buch zu tun, aber können Sie das nochmal genauer ausführen?

Aus dem Handgelenk fällt mir jetzt kein schlagendes Beispiel ein. Ich hatte einfach ein paar literarische Leidenschaften, mit denen er überhaupt nichts anfangen konnte. Zum Beispiel Heiner Müller. Das kam ihm völlig schräg vor. Auch literaturtheoretische Auseinandersetzungen, etwa darüber, was „die Moderne“ sein könnte, waren ihm fremd. Reich-Ranicki war da eher der Praktiker, der sich das einzelne Buch vornahm. Wenn er an dem Buch etwas Gutes fand, dann konnte er das auch erklären. Andersherum genauso. Über das einzelne Buch hinaus reichende Zusammenhänge waren eher nicht sein Thema. Es ist ganz in Ordnung, zu sagen, mich interessiert nur der Einzelfall. Das andere sollen andere klären.

Der Verzicht auf Theorie ist wahrscheinlich auch leserfreundlich, oder?

Unbedingt!

Ist Ihnen beim Schreiben von Februar 33 auch einmal Reich-Ranicki in den Sinn gekommen? Es kommen ja viele seiner Heroen darin vor.

Ich war versucht, ihn in das Buch hineinzuschreiben. Er war damals zwölf Jahre alt. Im November 32 ist er zum ersten Mal ins Theater gegangen. Dort hat er Wilhelm Tell gesehen und sofort Feuer gefangen. Zu Hause fing er gleich an, Schiller zu lesen. Wenn man nun eine Schiller-Ausgabe vom ersten Stück an liest, begegnen einem zuerst Die Räuber. Darin gibt es eine sehr schwache Vaterfigur und einen Sohn, der mit diesem Vater hadert. Das ist genau die psychologische Situation, in der sich Reich-Ranicki zu diesem Zeitpunkt befand. So hat er gelernt, dass ihm Literatur etwas über sich selbst erklären kann – oder zumindest, dass er Teile seines Schicksals in der Literatur wiederfindet. Er selbst hat das nie so erzählt, aber als er es in meiner Biographie las, hat es ihm eingeleuchtet. Irgendwann hat er mal erwähnt, dass er die legendäre Faust-Inszenierung mit Gustaf Gründgens im Theater am Gendarmenmarkt gesehen habe, die im Frühjahr 1933 lief. Da wäre es naheliegend gewesen, ihn an irgendeinem Sonntag in Februar 33 reinzunehmen, und etwa zu schreiben: „Es läuft über die Günzelstraße im bayerischen Viertel in Berlin ein 12-jährige Junge zum Gendarmenmarkt, um sich dort an der Theaterkasse anzustellen und billige Karten für die Faust-Aufführung zu bekommen. Dieser Junge heißt Marcel Reich und wird ein paar Jahrzehnte später als Marcel Reich-Ranicki im deutschen Literaturbetrieb eine prägende Rolle spielen.“ Einerseits hat mich das gereizt, andererseits wäre es ein sehr spekulatives Element innerhalb dieses Buches gewesen, das davon lebt, dass alles belegbar ist, was darin vorkommt.

Schade! Vielleicht hätten Sie sich die Freiheit nehmen dürfen, eine Figur, die Reich-Ranicki sein könnte, über die Straße gehen zu lassen…

Das Manuskript war nach meinen Vorstellungen ohnehin schon zu umfangreich. Wenn man ein solches Buch schreibt und alles hineinnimmt, was sich finden lässt, hat es am Ende 800 oder 900 Seiten. Und das will dann keiner mehr lesen, außer ein paar Literaturwissenschaftlern, die das alles schon wissen. Ich wollte, dass das Buch nicht mehr als 300 Seiten hat, damit es eine wirklich rasante, dramatische Lektüre ist. Mit einem langen, epischen Werk wird man den katastrophalen Ereignissen jenes Monats nicht gerecht.

Nach welchen Prinzipien haben sie denn dann ausgewählt? Haben Sie die Anzahl Ihrer Helden irgendwann begrenzt?

Ja, es war nötig eine Auswahl zu treffen, das habe ich auch im Vorwort geschrieben. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl war, ob sich die Erlebnisse, von denen berichtet werden sollte, genau datieren ließen. Das war nicht immer der Fall, und manche konnte ich deshalb nicht in der Chronologie meines Buches unterbringen. Ein Beispiel: Es gibt von Irmgard Keun eine schöne Geschichte, die irgendwann im Februar 33 stattgefunden haben muss. Ich erzähle bei Lesungen gern mündlich davon, damit Irmgard Keun nicht vergessen wird: In den ersten Februartagen wurde in Köln ein ziemlich bekannter linker, jüdischer Anwalt von der SA in seiner Wohnung überfallen und verprügelt. Er hat dann sofort seine Ausreise betrieben. Ein paar Tage später bekam er einen Brief von Irmgard Keun, die damals in Köln lebte. Ganz unaufgefordert, aus einem Impuls der Empörung heraus schrieb sie ihm, wie grauenvoll sie das findet, was man ihm angetan hat und dass so viele Leute dabei einfach zusehen und nicht dagegen protestieren. Der Rechtsanwalt wanderte dann in die USA aus und starb Jahre später dort. Lange nach dem Krieg kam seine Frau zurück nach Deutschland. Per Zufall traf sie Irmgard Keun in Köln, sprach sie an und gab ihr den Brief zurück, den sie damals an den Anwalt geschrieben hatte. Sie erzählte ihr, ihr Mann habe diesen Brief bis zu seinem Tod jeden Tag bei sich getragen wie einen Talisman und eine Erinnerung daran, dass es Menschen gibt, die anständig bleiben, selbst wenn ihr ganzes Land zur Diktatur wird. Eine sehr anrührende Geschichte, auf die ich aber verzichten musste, weil ich sie zeitlich nicht genau einordnen konnte. 

Schade auch um Irmgard Keun! Aber aus ihrem Bauprinzip heraus eine verständliche Entscheidung.

Es war mein Versuch, den Stoff literarisch zu formen. Es ist ein Sachbuch, das ist klar, aber es ist ein erzählendes Sachbuch. Und eine Erzählung braucht Strukturen, braucht bestimmte Gesetze, an die sie sich hält. Sonst zerfällt sie und wird breiartig, und man verliert als Leser die Orientierung im Text. Deshalb muss man manche Dinge weglassen, auch wenn es mir leid tat.

Mir ist Irmgard Keun gerade auch noch besonders präsent, weil ich ihren Roman Nach Mitternacht eben zum ersten Mal gelesen habe.

Ein tolles Buch, nicht wahr?

Wirklich phantastisch.

Ich habe es auch gerade erst im Januar gelesen. Ich kannte Das Kunstseidene Mädchen und Gilgi, eine von uns, aber Nach Mitternacht ist wirklich ein großartiger Roman! Schade, dass er so wenig bekannt ist. 

Ich kannte auch Das Kunstseidene Mädchen und war nicht völlig überzeugt von dem Roman, weil mich diese naiven Frauenfiguren, die Keun zeichnet, irgendwann mit ihrem Geplapper genervt haben. Bei Nach Mitternacht ist das anders, weil die Naivität der Figur gegen die sie umgebende Monstrosität der ersten Jahre der Nazi-Diktatur gestellt wird und sie gleichsam enttarnt. 

Eigentlich wollte Uwe Wittstock nach Freiburg kommen. Leider konnten wir uns am Ende doch nur digital treffen.

Ich habe mich beim Lesen der Geschichte auch gefragt, ob ich den anfänglich so reizvollen naiven Ton der Ich-Erzählerin bis zum Schluss ertragen kann. Geht dir, habe ich mich gefragt, dieses Geplapper nicht irgendwann auf die Nerven? In der zweiten Hälfte schreibt Irmgard Keun dann aber vieles in dem Tonfall dieses Journalisten Heini, der ein ganz anderes Temperament hat – er ist sarkastisch, politisch hellwach und alles andere als naiv. Das tut dem Roman gut, es gibt dem zweiten Teil des Romans eine neue Frische und noch mehr Bissigkeit gegen die Nazis. 

Zurück zu Februar 33! Ganz grundsätzlich gefragt: Zeigt ihr Buch eigentlich eher, wie machtlos Schriftsteller in der Gesellschaft sind oder gerade im Gegenteil, wie groß ihre Einflussmöglichkeiten sind? Den Nazis war schließlich offensichtlich sehr daran gelegen, schnell die Gleichschaltung des Literaturbetriebs voranzutreiben.

Gerade in den Kapiteln, in denen es um die Preußische Akademie der Künste geht, drängt sich der Eindruck auf, dass die Schriftsteller gesellschaftlich nicht sehr viel zu sagen hatten. Selbst so eine bedeutende Institution wie die Akademie, in der ja viele kluge Köpfe versammelt waren, war hilf- und machtlos. Um ehrlich zu sein: Die Machtübernahme der Nazis hätte nach der Vereidigung Hitlers wohl nur noch ein Staatsstreich durch Demokraten im Militär oder ein Generalstreik aufhalten können. Die Schriftsteller hatten da keinen Einfluss mehr. Andererseits aber erweist sich die Literatur im Nachhinein doch nicht als ganz machtlos, denn die Literatur hat die Erfahrungen dieser vier oder sechs Wochen nach der Machtübernahme in ihren Aufzeichnungen aufbewahrt. Darin ist die Erkenntnis gespeichert, wie schnell eine Demokratie scheitern kann, wenn ein Antidemokrat an die Macht kommt. Dadurch, dass die Literatur es anschaulich und nacherlebbar festgehalten hat, könnte man vielleicht doch behaupten, dass sie auf die lange Dauer eine Wirkung entfalten kann. 

In welchen Büchern von Zeitzeugen sind diese Erfahrungen ihrer Meinung am besten gespeichert? 

Sebastian Haffner beschreibt in Die Geschichte eines Deutschen die Zeit nach dem 30. Januar sehr eindrücklich. Sehr aufschlussreich sind auch die Tagebücher von Klaus Mann; wobei ich empfehlen würde, nicht ausschließlich die gedruckten zu verwenden, sondern die in der Monacensia in München digitalisierten Autographe, worin noch sehr viel mehr enthalten ist, was für die Veröffentlichung gekürzt werden musste. In diesen Tagebüchern kriegt man auch sehr viel von der Gegensätzlichkeit dieser Tage mit; wie unglücklich Klaus Mann einerseits war und wie sinnlich, leichtfertig und glücklich er auf der anderen Seite die Karnevalstage verlebt hat. Der 27. Februar 1933, der Tag des Reichstagsbrands, war nämlich der Rosenmontag. Solche Tagebuchaufzeichnungen finde ich sehr lehrreich. Auch die Briefe, die Else Lasker-Schüler in diesen Tagen geschrieben hat, gehören dazu. Wir lesen darin, wie sie darauf wartete, dass ihr Theaterstück Arthur Anonymus endlich aufgeführt würde, bis sie dann einsehen musste, dass ein Stück, das von einem friedlichen Zusammenleben zwischen Juden und Christen spricht, keine Aussicht mehr auf eine Aufführung hatte. 

Es ist doch bemerkenswert, dass es vor allem die authentischen Zeugnisse sind, zu denen man Zuflucht nehmen muss und es wenig Romane oder Erzählungen gibt, auf die man verweisen könnte. Nach Mitternacht von Irmgard Keun müsste man in diesem Zusammenhang vielleicht noch nennen, auch wenn es etwas später, im Jahr 1936, spielt.

Ja, sie beschreibt etwas, was es ganz selten gibt: die Atmosphäre der ersten Jahre der Hitler-Diktatur. Andere konnten nicht so gut Auskunft darüber geben, weil sie schon im Ausland waren, zum Beispiel Anna Seghers in ihrem Roman Das siebte Kreuz.

Sie haben gerade ihr Quellenstudium in München erwähnt. Ich habe mich gefragt, wie viel Archivstunden und Bibliotheksstunden wohl zusammengekommen sind für dieses sehr aufwendig recherchierte Buch.

Ich habe vor allem die Deutsche Nationalbibliothek genutzt, die den großen Vorzug hat, dass sie alles sammelt, was nach 1945 erschienen ist – jedes Buch und auch jede Broschüre. Dadurch konnte ich an einer Stelle eigentlich alle benötigten Bücher finden. Glücklicherweise ist die Deutsche Nationalbibliothek von meinem Arbeitszimmer in nur 20 Fahrradminuten zu erreichen, sodass ich dort viel Zeit verbringen konnte.

Welche Reaktion eines ihrer Helden auf die Machtübernahme der Nazis hat sie am meisten überrascht?

Überrascht ist man ja manchmal in zweierlei Hinsicht. Um ehrlich zu sein, fand ich die Rolle von Thomas Mann nicht sehr rühmlich. Er hat zwar vorher politisch in der richtigen Weise Stellung genommen, hatte aber große Schwierigkeiten tatsächlich zu begreifen, was um ihn herum nach dem 30. Januar vor sich ging. Gerade in der ersten Zeit waren die Gedanken befremdlich, die er in sein Tagebuch notiert hat. Er hing sehr an der Vorstellung, dass er weiter der repräsentative Schriftsteller in Deutschland sein sollte. 

Und positiv?

Im positiven Sinne hat mich Ricarda Huch überrascht, eine unglaublich vielseitige Schriftstellerin und sehr eigenständige Persönlichkeit, von der ich bis dahin jedoch nicht sehr viel gelesen hatte. Sie, die mit Ende 60 in bereits fortgeschrittenem Alter in Deutschland geblieben war, sollte Stellung nehmen zu der Erklärung, die Gottfried Benn von allen Akademie-Mitgliedern abverlangt hat. Es ging darum, dass die Schriftsteller ihre Arbeit in den Dienst der Nationalsozialisten stellen. Ricarda Huch ist die einzige gewesen, die ganz klar gesagt hat: Mit diesen Herrschern in Deutschland will ich nichts zu tun haben. Sie hat sich zwar als nationale Schriftstellerin empfunden, aber nicht im Sinne der Nationalsozialisten. Stattdessen hat sie darauf bestanden, dass man ihren Austritt aus der Akademie öffentlich bekannt gibt. Als man ihr sagte, wenn Sie jetzt austreten, dann sieht das ja aus, als würden sie solidarisch mit so einem Juden handeln wie Alfred Döblin, antwortete sie: in der Tat sei sie nicht immer einer Meinung mit Alfred Döblin gewesen, habe ihn aber immer als jemanden empfunden, der sehr ernsthaft und aufrichtig nach der Wahrheit suchte. Und sie wünschte sich, es gebe in Deutschland mehr Leute wie ihn. Das zu sagen, nachdem Hitler gerade an die Macht gekommen war und die SA durch die Straßen von Berlin und anderen deutschen Städten tobte; da muss ich sagen: mein ganzer Respekt! Wenn es von dieser Sorte in Deutschland zwei- oder dreihundert gegeben hätte, dann hätten sich diese Stimmen nicht so leicht unterdrücken lassen.

Oder wenn wenigstens die großen Schriftsteller mitgemacht hätten. Wenn etwa Thomas Mann entschieden gewesen wäre oder Gerhart Hauptmann… 

Die haben aber alle ihre kleinen Kompromisse gemacht. Manche von denen, die diesen Revers von Gottfried Benn unterschrieben haben, wurden dann später trotzdem einfach rausgeschmissen aus der Akademie, weil sie Juden waren oder weil man sie aus anderen Gründen nicht mehr haben wollte. Insgesamt gab es sehr wenig Zivilcourage unter den Autoren. 

Warum hat man Ricarda Huch wohl nicht belangt?

Sie war auch unter national denkenden Leuten sehr beliebt. 1944 hat sie sogar noch den Wilhelm-Raabe-Preis bekommen. Nachher hat sie gesagt, dass es ein Fehler war, ihn anzunehmen. Aber offensichtlich fühlte sie sich doch irgendwie geschmeichelt. Allerdings hat sie in ihrem Haus einen regen Austausch mit Leuten geführt, die dem Nationalsozialismus gegenüber feindlich gesonnen waren. Ich weiß nicht, inwieweit diese Treffen zu Widerstandhandlungen geführt haben oder ob man das schon als Widerstandzelle bezeichnen kann. Aber immerhin hat sie sofort nach dem Krieg damit angefangen, Material über den Widerstand gegen Hitler zu sammeln. Das Buch hat sie leider nicht mehr schreiben können, weil sie vorher gestorben ist. Einmal war sie nach dem Krieg zu Recherchen in Berlin in einem Hotel. Sie ging dort den Flur entlang und wer kam ihr entgegen? Alfred Döblin. Die beiden erkannten sich, umarmten sich, sie hatten den Krieg überlebt, Adolf Hitler nicht.

Eine schöne Geschichte und ein rares Symbol für deutsch-jüdische Verbundenheit nach dem Krieg! Ich habe beim Lesen von Februar 33 viel an den heutigen Literaturbetrieb gedacht. Ich weiß nicht, ob das auch Ihre Intention gewesen ist. Vielleicht kann man aber immerhin beantworten, ob der Literaturbetrieb heute gegen solche Formen der Gleichschaltung gewappnet ist, ob er resilient ist, um es ganz zeitgemäß zu sagen.

Man kann natürlich manches aus der Geschichte lernen, zum Beispiel wie anfällig Demokratien sind, wenn ein Anti-Demokrat an die Macht kommt. In den Details unterscheidet sich Geschichte aber immer ungeheuer. Die Weimarer Republik war eine sehr fragile Demokratie, die nur 14 Jahre bestand und von Katastrophe zu Katastrophe stolperte. Diese Demokratie konnte natürlich schneller zerstört werden, als es bei unserer heutigen, 70 Jahre währenden, sehr wohlhabenden, politisch erfolgreichen Demokratie der Fall wäre. Wenn man solche Differenzen immer berücksichtigt, dann kann man, denke ich, aus Geschichte lernen. 

* * *

Zum Weiterlesen:


Uwe Wittstock: Februar 33. Der Winter der Literatur
C. H. Beck 2021
288 Seiten / 24 Euro

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Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933
Pantheon 2014
304 Seiten / 16 Euro

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Else Lasker-Schüler: Briefe 1925–1933
Jüdischer Verlag 2005
701 Seiten / 114 Euro

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Irmgard Keun: Nach Mitternacht
Claassen 2022
208 Seiten / 22 Euro

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Klaus Mann: Tagebücher. 1931–1949
Rowohlt 1995
6 Bände, 1712 Seiten / 49 Euro

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Katrin Lemke: Ricarda Huch. Die Summe des Ganzen. Leben und Werk
Weimarer Verlagsgesellschaft 2014
160 Seiten / 16,90 Euro

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Foto: privat

2 Kommentare zu „Hat die Literatur versagt? – Interview mit Uwe Wittstock

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