Polterabend – Miku Sophie Kühmel: Kintsugi

Von Jascha Feldhaus

Im Mittelpunkt von Miku Sophie Kühmels Debütroman ‚Kintsugi‘ stehen vier Menschen: Max und Reik, ein schwules Pärchen, sowie Tonio und Pega, Vater und Tochter. Die vier treffen sich für ein Wochenende in dem Ferienhaus von Max und Reik, sie haben eingeladen. Die Handlung ist geprägt von Wechseln zwischen kürzeren dramatischen Szenen und längeren Ich-Erzählsträngen der einzelnen Protagonisten: zuerst Max, dann Reik, Tonio und abschließend Pega. Für die Autorin hätte das Debüt wohl kaum besser ausfallen können, immerhin hat sie es mit ihrem Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreis 2019 geschafft. Aber warum eigentlich?

Während ich Kühmels Roman las, habe ich mich mit einer Bekannten unterhalten, die sich noch lebhaft an ein Sachbuch zum Thema Kintsugi im Bücherregal ihrer Mutter erinnerte. Was in ihren Erinnerungen besonders viel Platz einnahm, waren die abenteuerlich-wilden Zeichnungen der verbundenen Brüche, denen sie gerne mit ihren Fingern nachging. Über einen solch anschaulichen Eindruck von der japanischen Kultur hätte ich mich auch gefreut im Roman von Miku Sophie Kühmel. Doch stattdessen überschreibt sie die Kapitel mit japanischen Begriffen, die nur vage in die jeweiligen Szenen passen.

Das erste Kapitel, der Prolog, ist mit „yūgen“ überschrieben, was – so entnimmt man es dem angefügten Glossar – soviel heißt wie „das ungreifbare der materie, schillernde farblosigkeit, fülle der leere“. Farblos kommt die Schilderung der Situation in der Tat daher: Es ist Ende März an einem Wochenende und wir befinden uns in einem Ferienhaus am See. Dort begegnen uns Max und Reik. Was hier bereits auffällt, ist, dass beide gemeinsam in ihrem Alltag gefangen sind, der Umgang miteinander wirkt gewohnt, voraussehbar: Reik vergeht sich mit kindlich-spielerischem Eifer gerne an der Ordnungsliebe von Max, was aber in Anbetracht des Chaos’ in Reiks Leben eher wie ein haltsuchender Hilferuf wirkt. Dass sie schlussendlich im Bett landen, wo Reik aufgrund seines stärkeren Körpers den Überlegenen gibt, zeigt die zwei in der brüchigen Balance ihrer Beziehung.

Mit dem Eintreffen von Tonio und Pega landet man direkt in einer der dramatischen Szenen, ehe die Ich-Perspektive von Max eingenommen wird. Mit diesem Perspektivwechsel ging bei mir auch die Hoffnung einher, dass der Roman an Spannung gewinnen würde, was sich auch zunehmend bestätigte. Besonders gut gelingt es der Autorin, Max’ ruhiges, überlegtes Wesen darzustellen, indem sie durch seinen sehr reflektierten Blick seine Wahrnehmung fassbar macht. Gleichzeitig schafft sie es auch hervorragend, seine Innenwelt in Gegensatz dazu zu stellen, besonders und vor allem in Bezug auf Reik.

Dagegen geht es mit dem anschließenden Wechsel zu Reik wieder in die Richtung des Prologs. Als Künstler wird ihm ein klischeetypischer Selbstbezug attestiert, der sich in seinem Rückblick auf die Familie und die Kindertage zum Ausdruck bringt. Zudem beneidet er Tonio um Pega. Er erhebt ihre Geburt über seine Kunst, stellt damit beides in ein Verhältnis zwischen Natur und Kunst, was zu einem spannenden Thema hätte werden können, aber eben nur werden können, weil es nicht tiefergehend verfolgt wird. Abschließend versucht Reik noch vergeblich Tonio sexuell herauszufordern, der auch seine erste homosexuelle Bekanntschaft war, bevor Tonio zu Pega und Reik zu Max kam.

Als nächstes erfahren wir dann auch Tonios Perspektive, der bis dahin ausgesprochen viel an seinem Handy hing. Seine Gedanken werden denn auch regelmäßig durch Textnachrichten gebrochen – ebenfalls ein netter Einfall, wenn sich nicht seine Funktion darin erschöpfte, dass Tonio ganz plötzlich ein Geständnis ablegen muss: Es ist eine Kommilitonin von Pega, die sich dort meldet, die Tonio schon seit einiger Zeit unentdeckt trifft. Was die Gedanken betrifft? Sie kreisen nur um Max, dem sie in Eifersucht und Neid zugetan sind.

Allen drei Männern gemeinsam ist ihr seltsames Verhältnis zu Pega. Max als Professor für Archäologie an ihrer Universität steht Pega in ihrem neuen akademischen Leben nahe und hat durch den persönlichen Bezug natürlich auch ein intensiveres Verhältnis zu ihr als zu anderen Studenten. Reik hingegegn versucht, seine verlorene Kindheit in Pega zu kompensieren, wenn er selbstverständlich vergebens an ihrem früheren kindlichen Wesen festhält. Und Tonio als Vater klammert sich an seine Tochter, die er am liebsten für immer in seiner Obhut behalten hätte. Hieraus wird seine Liebe zu einer Studentin in Pegas Alter motiviert, womit auch diese Entwicklung mit einer aufdringlichen psychologischen Erklärung versehen wäre.

Aber was ist mit Pega selbst? Sie nimmt das alles natürlich wahr und grenzt sich dabei vor allem von Reik und Tonio ab. Wir erfahren von ihrer ersten vergeblichen Liebe zu einem Jungen. Die Gefühle projiziert sie auf Max, den sie deshalb glorifiziert und schließlich auch küsst. Dass daraus natürlich nichts wird, liegt mit Blick auf Max’ geordnetes Leben wohl auf der Hand. Am Ende steht dann die Trennung von Max und Reik. Pega erkennt, dass sie auch irgendwie mit ihrem neuen Studentinnenleben zurechtkommen muss, und Tonio, der sich vielleicht besser nochmal selbst befragen sollte, was er überhaupt will, bleibt zurück.

Ganz zum Schluss darf natürlich nicht vergessen werden, nach der Bedeutung des Titels zu fragen. Japan scheint irgendwie auch ein Thema des Romans zu sein, vielleicht auch ein inneres Anliegen der Autorin. Wir wissen, dass das Ferienhaus nach Feng Shui eingerichtet worden ist, aber die Harmonie bricht am Ende auseinander. Oder wird sie erst im Bruch gefunden? So richtig greifbar ist das nicht. Um dem Romantitel gerecht zu werden, lässt die Autorin im Laufe der Handlung eine Teeschale zu Bruch gehen. Der weitere Bezug bleibt schleierhaft.

Im Gegensatz dazu bekommen die Figuren von Miku Sophie Kühmel wenig Aufmerksamkeit. Im sehr kurzen Epilog glänzt die Teeschale mehr als die notdürftig reparierten menschlichen Verhältnisse. Weshalb auch der letzte Satz, mit dem sprachlich wohl schönsten Ausdruck, der Schale gilt: „Und an den Stellen, wo die Risse waren, die Splitter, die Brüche, glänzt in verästelten Linien das Gold wie Adern aus Licht“. – Am Ende bleibt der Roman wohl schlichte, flache Unterhaltung. Sprachlich und thematisch geht die Autorin nicht sehr weit, was schade ist, denn mögliche Themen wie der Natur-Kultur-Dualismus oder Tonios Kompensationskonflikt hätten durchaus mehr Potenzial gehabt. Gleiches gilt für den Wechsel der Perspektiven, doch ohne einen Sprachwechsel unter den Figuren, läuft dieser ins Leere. Was sich die Jury bei der Nominierung gedacht hat, bleibt rätselhaft.

Miku Sophie Kühmel: Kintsugi
Fischer 2019
297 Seiten / 21 Euro

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