Von Pascal Mathéus
Der Lockruf des Geldes treibt den Helden aus Tom Zürchers für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman ‚Mobbing Dick‘ in die Welt der Banker. Diese wird gezeigt als das finstere Herz der nach außen so freundlich und aufgeräumt wirkenden Schweiz. Wer hier etwas werden will, wird stattdessen wahnsinnig.
Der Plot von Mobbing Dick ist schnell erzählt. Wir befinden uns in den Region Zürich. Ein junger Mann namens Dick bricht sein Studium ab, weil er aus dem elterlichen Gefängnis ausbrechen will. Er bewirbt sich bei einer Bank, wird eingestellt, sucht sich eine Wohnung und fängt in seinem Eigenständigkeitswahn bald damit an, in Spekulationsgeschäfte zu investieren, die seine Mittel weit übersteigen. Es kommt, wie es kommen muss: Die Katastrophe stellt sich ein.
Erzählt wird dies alles in atemlosen Tempo. Kurze Sätze reihen Pointe an Pointe, der Ton reicht von aberwitzig abgedreht bis irrwitzig aufgedreht. Zusammengehalten und angetrieben wird die Geschichte von der neurotischen Persönlichkeit des Helden. Er möchte unbedingt selbstständig sein, hängt aber gedanklich ganz an den Vorstellungen seiner Umwelt. Alles, was er tut, ist darauf ausgerichtet, zu glänzen. Doch sein planmäßiges Vorgehen wächst sich schnell zum Verfolgungswahn aus.
Am Ende entwickelt sich Dick zu einer Mischung aus Mr. Hyde, Sweeney Todd und Patrick Bateman. Er ist nicht bereit über Leichen zu gehen, denn das wäre ja eine eigenständige Entscheidung. Er wird dazu getrieben. Ausgehöhlt von der sinnlosen Brutalität im Konkurrenzkampf des Geldinstitutes flüchtet er sich in eine alternative Persönlichkeit, die aus Wodka, einem alten Arztkittel und Drohanrufen besteht.
Was in dem Roman vor allem gezeigt wird, ist der Maschinenraum einer großen Traditionsbank. Den theoretischen Hintergrund scheinen dazu Bücher wie Bullshit Jobs oder Das Peter-Prinzip zu liefern. Während wir aus Bullshit Jobs jüngst über die Sinnlosigkeit moderner Berufsbilder unterrichtet wurden, gehört Das Peter-Prinzip zu den Klassikern der betriebswirtschaftlichen Allgemeinbildung. Demnach funktionieren betriebliche Hierarchien so, dass am Ende alle Posten von Mitarbeitern besetzt werden, die völlig inkompetent für ihre Aufgabe sind. Ob Zürcher tatsächlich Innenansichten aus der Bankerwelt mitbringt, wie die in Mobbing Dick abgedruckte Kurzbiographie behauptet, sei dahingestellt. Fakt ist, dass seine Schilderungen nicht über das hinausgehen, was in den genannten Büchern oder in zahlreichen Zeitungsartikeln über die vergangene Finanzkrise oder im Kontext der drohenden nächsten zu lesen gewesen wäre.
Zürich wird in all seinen Klischees gezeigt. Der See, die Bahnhofstraße, der Paradeplatz. Das Umland ist verschlafen, das Langstraßenquartier verrucht. Alles ist genauso, wie wir es eh schon immer gewusst haben. Selbiges gilt für die Abläufe in der Bank. Die Angestellten zocken, die wichtigsten Informationen entnehmen sie – genau wie alle anderen – auch nur aus der Zeitung. Und das ganze Brimborium ums Bankgeheimnis dient nur dazu, den völlig neurotischen Kunden ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Der Schwur auf die Wahrung dieses Geheimnisses wird übrigens auf eine Heidi-Ausgabe geleistet. Das ist alles mehr oder weniger witzig. Insgesamt taugt es aber vielleicht besser für ein 15-minütiges Stand-Up-Programm als für einen 300-Seitigen Roman.
Zürcher ist gnadenlos mit all seinen Figuren und zeigt sie allesamt als Abziehbildchen. Der Vater: die Karikatur eines geldhortenden Spießers, der keinen anderen Wert als die finanzielle Absicherung kennt. Sein Denken ist völlig unselbständig. Es beschränkt sich im Grunde auf die Frage: Was würde sein Idol Dick Cheney in diesem Moment tun? Die Mutter: die Karikatur eines unselbstständigen Heimchens am Herde. Sie ist sentimental, neigt zur Hysterie und in ihren Vorstellungen vollkommen von den Urteilen ihrer Mitmenschen abhängig. Die Schwester: die Karikatur einer rebellischen Jugendlichen; antikapitalistisch, aufsässig, unverantwortlich. Dann sind da noch die karrieregeilen Banker, die – sofern sie weiblich sind – auch ihren Körper fürs Fortkommen einsetzen, die Langstraßen-Nutten mit ihrer verwegenen Abgebrühtheit, die Sprüngli-Frauen in ihrer herausgeputzten Aufgeräumtheit – kurz: Es gibt keine einzige Figur mit Charaktertiefe. Näheres erfährt man ohnehin fast ausschließlich über Dick und seinen Bürokollegen Remo. Doch die einzige Entwicklung, die diese beiden Charaktere durchmachen, ist ihr Abgleiten in den Wahnsinn.
Mobbing Dick versteht sich wohl als eine Parabel auf die degenerierte, von Bankern und skrupellosen Geschäftsleuten regierte Welt. Nicht umsonst scheint die große Bedrohung Trump immer wieder im Text auf. Der Roman endet gar mit der Wahl des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Mit den Mitteln der Satire will Zürcher Aufklärung betreiben – so weit, so edel. Doch wenn sie so eindimensional daherkommt, wenn überhaupt nichts neues mitgeteilt wird, dann überzeugt das Ergebnis nicht. Ein solches Buch regt nur diejenigen an, für die Empörung ein Hobby darstellt, das sie mit Haltung verwechseln. Alle anderen lässt es kalt.
Trotz aller Mängel ist Mobbing Dick ein rasantes Buch, das einen durchaus dazu einlädt, es zu verschlingen. Es ist spannend, es ist aufregend, aber eben nichts, was nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Ein Unterhaltungstitel eben. Umso überraschender ist die Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Unserer Meinung nach hätte ein anderer Titel aus dem Salis-Verlag dies eher verdient gehabt.
Tom Zürcher: Mobbing Dick
Salis 2019
320 Seiten / 24 Euro