Von Pascal Mathéus
Zwischen dem Anschlag auf die Redaktion von ‚Charlie Hebdo‘ und dem auf das Bataclan lässt Hilmar Klute seinen zweiten Roman ‚Oberkampf‘ spielen. Seinen Helden Jonas hat er für ein Schriftsteller-Biographieprojekt nach Paris geschickt. ‚Oberkampf‘ ist der ambitionierte Versuch, aus der allerneuesten Geschichte Literatur zu formen. Gelingt das auf überzeugende Weise?
Nachdem Jonas sich gerade von seiner Agentur und seiner Frau getrennt hat, wagt er den ultimativen Aufbruch. Paris ist die Stadt seiner Sehnsüchte, wo ein alter Schriftsteller, über den Jonas eine Biographie zu schreiben beschlossen hat, seinem exzessiv selbstbespiegelnden Schrifstellerdasein nachgeht. Kaum in Paris angekommen, holen ihn die Liebe in Form der viele Jahre jüngeren Christine und das Leben in seiner brutalsten Spielart durch den Mordanschlag auf die Mitarbeiter des Satire-Magazins Charlie Hebdo wieder ein. Was folgt, ist nun sehr durchsichtig: Ein Mann, der gerade noch jung genug ist, um sein Leben noch einmal zu überdenken, wird in einem Zwiespalt zwischen dem Leben und der Reflexion, der Sinnlichkeit und dem Geist gezeigt und droht an dieser Antithese zu scheitern.
Abgrenzung gelingt Jonas zunächst nur gegenüber den abgebrühten Reportern, die die Anschläge mit ihrer ekelhaften Routine aufnehmen. Ein weiteres Anliegen des Romans lässt sich erkennen: Der SZ-Redakteur Klute möchte angesichts des Ernstes der Lage offenbar nicht länger aus der Perspektive des Journalisten sprechen, sondern die gleichzeitige Zerrissenheit der Welt und seines Protagonisten mit den Mitteln der Literatur in den Griff bekommen. Leider überzeugt die Konstruktion des Romans nicht, weil die Liebesgeschichte und die Auseinandersetzung mit dem alten Schriftsteller die meiste Zeit über nur lose miteinanderverbunden werden, während das Terrorthema, das übrigens bei der Vermarktung des Buches besonders in den Vordergrund gestellt wird, nach dem dramatischen Auftakt kaum mehr vorkommt.
Erstaunlicherweise sind die stärksten Passagen des Romans gerade diejenigen, in denen klassisch-journalistische Tugenden zum Tragen kommen. Wenn er etwa die Persönlichkeit von Leonhard Cohen und die Atmosphäre auf einem Konzert beschreibt, wenn er die Wirkung seiner Musik veranschaulicht, dann ist das allerbestes Feuilleton. Demgegenüber stehen aber leider auch völlig missglückte Versuche, Einsichten in knapper Form auf den Punkt zu bringen. Etwa die Bemerkungen über Amerika sind von so ausgesuchter Banalität, dass man so verzweifelt wie vergeblich nach irgendeinem Signal für Ironie sucht. Oder was soll einem noch dazu einfallen, wenn man in einem Roman über die USA liest: „Alles war extrem in diesem Land“? Ähnlich verhält es sich mit folgender Allerweltsweisheit über das moderne Arbeitsleben: „Wenn es in dieser Welt keine herkömmliche Arbeit mehr geben sollte, wird es immer noch originelle Köpfe geben, die Angebot und Nachfrage erfinden, dachte Jonas.“
Die Sprache ist überhaupt häufig fürchterlich gestelzt und reichlich altbacken; Klute scheut etwa an einer Stelle nicht die unironische Verwendung des Ausdrucks „Kabale“. Und auch mit der Erzählökonomie gibt es in Oberkampf Schwierigkeiten. Immer wieder quatscht sich Klute nämlich die eigenen Pointen kaputt, indem er sie erklärt, nachdem er sie gesetzt hat.
Einen guten Einfall hatte Klute zum Ende seines Romans, als er Corinna, die Exfreundin von Jonas, in einer längeren E-Mail zu Wort kommen lässt. Während durch das ganze Buch hindurch die verächtlichen Beschreibungen von Jonas das Bild einer ganz schrecklichen, fürchterlich banalen Frau gezeichnet haben, wird, als sie selbst zu Wort kommt, deutlich, dass dies durchaus nicht der Wahrheit entsprach. Ihre Perspektive auf das Leben von Jonas bereichert das Bild ganz ungemein und sorgt beim Leser dafür, dass er seine Einstellung zu dem Helden nochmals überdenkt. Insgesamt bleibt es aber bei einzelnen solcher Einfälle, die den Roman als ganzen nicht retten können.
„Aus Witz und Ekel komponiert Hilmar Klute, der scharfsinnige Beobachter intimster Innen- und öffentlichster Außenwelten, ein großes Kunstwerk über die Dämonen unseres Alltags: Beziehungsangst, Angst vorm Scheitern, die Gewalt einer Welt in Auflösung.“ So jubelt Alexander Solloch in seiner Besprechung des Buches für den NDR. Die bloß additive Aufzählung der Elemente dieses „großen Kunstwerks“ entlarvt die fehlende Trennschärfe dieses völlig überzogenen Lobliedes. Klute überzeugt in seinem zweiten Roman gerade nicht als Schriftsteller, der sein Material auf kunstvolle Weise zu einer dramatischen Verdichtung geformt hätte. Begnadete Trash-Regie bleibt wohl bis auf Weiteres die Domäne des alten Herrn dort oben.
Hilmar Klute: Oberkampf
Galiani-Berlin 2020
320 Seiten / 22 Euro
Foto: Paul_Henri / pixabay.com