Von Pascal Mathéus
Wie häufig sind gelingende Gespräche? Gespräche, in denen wirklicher Austausch stattfindet, beide Beteiligten etwas gewinnen und nicht bloß Mauern aus längst schon feststehenden Standpunkten aufgetürmt werden? Ein Beispiel für ein lebenslang gelingendes Gespräch hat sich die Biographin und Sachbuchautorin Ingeborg Gleichauf vorgenommen. Ihr Buch weckt Sehnsucht nach echter Freundschaft.
„Der Briefwechsel zwischen Arendt und Jaspers kann eine Schule gelingender Kommunikation genannt werden“, schreibt Gleichauf an einer Stelle ihres Buches. Lässt sich das vorliegende Buch also als Ratgeber für gelungene Kommunikation verwenden?
Im Grunde genommen schon. Nur gibt es – anders als in üblichen Ratgebern – keinen schlichten 10-Punkte-Plan mit Verhaltensregeln, die einfach zu übernehmen wären. Vielmehr bietet Gleichauf die Auseinandersetzung mit zwei der komplexesten und spannendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts an. „Es gibt einen Lehrer, man kann vielleicht das Denken lernen“, sagte Hannah Arendt einmal über Martin Heidegger. Mit Hannah Arendt und Karl Jaspers stellt uns Ingeborg Gleichauf zwei Lehrer vor, bei denen sich das Kommunizieren lernen lässt.
Dass es bei diesem Unterschied zwischen Denken und Kommunizieren ums Ganze geht, macht Gleichauf in dem Kapitel ihres Buches deutlich, in dem sie den schon erwähnten Elefanten im Raum, den mit ihren beiden Helden befreundeten Heidegger, in das Gespräch einzubeziehen versucht. Dabei zeigt sich: Denken ist eine einsame Sache, die deswegen die Welt verfehlt. Weder Arendt noch Jaspers haben je einen vitalen Dialog mit Heidegger aufnehmen können. Gleichauf macht überzeugend deutlich, dass das nicht ihr Versäumnis war. Ihr eigenes Gespräch erscheint dagegen quecksilbrig und schillernd, während die fundamentalontologischen Tiefenbohrungen Martin Heideggers nicht erst in letzter Zeit vor allem Dunkelheit hervorgebracht haben. „Wo Jaspers hinkommt und spricht, wird es hell“, sagte Hannah Arendt an einer anderen Stelle. Von ihrem Doktorvater hat sie gelernt, dass es in der Philosophie auf die größtmögliche Klarheit und die Hinwendung zur Öffentlichkeit ankommt. Der Gegensatz zu Heidegger könnte nicht größer sein.
In den nach philosophischen Großthemen geordneten Kapiteln breitet Gleichauf die eminent auf den Dialog angelegten Überlegungen ihrer beiden Protagonisten aus. Das Ergebnis dieser originellen Vorgehensweise ist eine instruktive Werkschau und eine durch Schlaglichter entworfene faszinierende Doppelbiographie.
Zuweilen lässt sich die Autorin dabei von spontanen Einfällen mitreißen, die sich ihr durch die Konfrontation mit den brillanten Gedanken ihrer Protagonisten geradezu aufzudrängen scheinen. Diese Abschweifungen geben zwar ein Bild von der auch von Arendt und Jaspers angestrebten Lebendigkeit von Kommunikationen wieder. Sie dienen aber nicht immer dem Lesefluss des Buches. Überhaupt holpert es hier und da beim Anschluss eines Absatzes an den nächsten. Gleichauf verzichtet weitgehend auf Überleitungen, die in anderen Texten ja in der Tat häufig floskelhaft ausfallen. Das ließe sich eigentlich loben, ginge damit nicht auch ein gewisses Maß an Eleganz verloren. Angesichts der Fülle an wirklich originellen Beobachtungen und Gedanken, sind das aber verzeihliche Mängel.
Am stärksten ist das Buch da, wo es zeigt, wie sich Erkenntnisse von Arendt oder Jaspers aus dem Gespräch der beiden ergeben, geschärft oder verändert haben. Etwas weniger aufregend sind dagegen jene Abschnitte, die den üblichen Einführungscharakter philosophischer Basisliteratur annehmen. Dieser Charakter kommt dann zum Tragen, wenn Gleichauf weniger Material in petto hat, mit dem sich eine direkte Auseinandersetzung von Arendt mit Jaspers oder umgekehrt belegen ließe, und sie stattdessen die Positionen der beiden zu unterschiedlichen Themen referiert. Highlights sind ihre Ausführungen zu den Arbeitsexemplaren Karl Jaspers von Hannah Arendts Werken. Die Spuren intensiver Auseinandersetzung mit den Texten seiner geschätzten Freundin werden von Gleichauf kontextualisiert und vor allem dann hervorgehoben, wenn sie einen besonders charakteristischen Moment der Nicht-Übereinstimmung zwischen den beiden Denkern markieren.
Zwar sind auch die Darstellungen der Arendt’schen respektive Jasper’schen Positionen stets luzide. Gerade im letzten Abschnitt, der mit „In der Gegenwart“ überschrieben ist, schleicht sich jedoch ein störendes Element in Gleichaufs Erörterungen. Ihre Aktualitätsbezüge auf den Klimawandel oder die Corona-Pandemie erscheinen nicht immer zwingend, auch weil das dialogische Moment zugunsten des Gesprächs mit der aktuellen Zeit in den Hintergrund tritt. Ihr Buch hätte dieses Sich-Ausstrecken nach der Gegenwart gar nicht nötig, entfalten doch die von ihr geschilderten Gedanken der beiden Philosophen durch ihre universalistische Perspektive auch unabhängig von unseren heutigen Problemen ihre Anziehungskraft.
Weil sich Hannah Arendt und Karl Jaspers in einem einig waren, konnten sie sich über alles streiten. Bei Jaspers klingt das so: „Der Wille zur Offenbarkeit bedeutet das Wagnis, alles Gewonnene in Frage zu stellen, ungewiß, ob und wie ich darin mich selbst gewinne.“ Oder an anderer Stelle: „Nur bei grenzenloser Standortverschieblichkeit, darum hingabebewußter Unfertigkeit, ist wahrhafte Kommunikation denkbar.“ Hier erreicht der Neologismenscore beinahe Odo-Marquard’sche Züge. Und doch wird wie bei Marquard erst durch die Neuschöpfung etwas deutlich. Die „hingabebewußte Unfertigkeit“ ist eigentlich ein hölzernes Eisen. Ganz und gar hingeben wird man sich doch normalerweise nur einer Sache, der man sich sicher ist. Diese Sicherheit nicht zu benötigen und sich gleichzeitig vollständig in das Gespräch zu engagieren, zeichnet den Austausch zwischen Arendt und Jaspers aus.
Für ein solches Wagnis müssen zwei Voraussetzungen erfüllt werden. Erstens muss man sich radikal einer Sache verschreiben, muss einen Gegenstand in den Blick nehmen, der weder mit dem einen noch mit dem anderen Gesprächsteilnehmer identisch ist. Zweitens ist es nötig, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Was selbstverständlich klingt, ist durchaus anspruchsvoll: Beide müssen einander in der Sache dasselbe Maß an Einsicht und Urteilskraft zugestehen, damit der Dialog fruchtbar wird.
Daraus ergibt sich ein großes gegenseitiges Vertrauen, das es erlaubt, sich sogar dann über die Äußerung seines Gegenübers zu freuen, wenn dieses eine gänzlich andere Antwort gibt, als man es selbst getan hätte. Ingeborg Gleichauf schreibt: „Freundschaft, das kann heißen und tut es in diesem besonderen Fall von Freundschaft, die Unabhängigkeit des/der anderen zu erkennen, zu schätzen, zu schützen und niemals zu untergraben.“
Wie sehr könnte die gegenwärtige Debattenkultur ein solches Maß an Offenheit, gegenseitigem Respekt und Unvoreingenommenheit gebrauchen! Das Buch von Ingeborg Gleichauf macht diesen Mangel schmerzhaft deutlich, versäumt dabei jedoch nicht, eine Hand auszustrecken. Vielmehr gleicht es einem Gesprächsangebot. Es anzunehmen, lohnt sich.
* * *
Ingeborg Gleichauf: Hannah Arendt und Karl Jaspers. Geschichte einer einzigartigen Freundschaft
Böhlau 2021
200 Seiten / 23 Euro
Kaufen bei:
#supportyourlocalbookstore
Foto: Sponchia / pixabay.com
Danke für diese großartige Vorstellung! Die beiden Philosophen begleiten mich schon eine Weile (auch abseits meines Studiums). Beide sind wirklich interessante Persönlichkeiten, weshalb ich mich sehr freue, durch den Beitrag auf das Buch aufmerksam geworden zu sein! 🤗
LikeGefällt 1 Person
Freut mich sehr! Vielen Dank für die Rückmeldung.
LikeGefällt 1 Person