Vom Glück im Alltäglichen – Peter Rosei: Das Märchen vom Glück

Von Meike Bogmaier

Peter Rosei erzählt ‚Das Märchen vom Glück. Es überrascht mit hektischen Wechseln der Erzählperspektive und einer viel zu wirklichen Melancholie. Am Ende der Geschichte bleibt eine Leere zurück, die fragen lässt: War das schon alles?

Lena, András, Lajos, Eva, der Graf und Ulrich sind die Protagonisten dieses sonderbar wirklichen Märchens. Sie leben in recht durchschnittlichen Verhältnissen in und um Wien. Vom Gastarbeiter über den Supermarktangestellten bis zum Kunsthändler ist alles dabei. Um die gesamte Spanne der sozialen Schichten abzubilden, reichen Rosei erstaunlich wenige Figuren. Wie in vielen Märchen geht es auch in diesem um Liebe, Erfolg und Geld – eben um das, was glücklich macht. Manche unserer Helden und Heldinnen erreichen diese Ziele fast beiläufig, während andere auf der Suche nach dem Glück ihr Leben lassen müssen.

Peter Rosei versteht es, seine Figuren so in der Geschichte zu platzieren, dass die Lesenden sich schnell an sie gewöhnen. Umso überraschender ist es, wenn man sich schon nach wenigen Seiten wieder verabschieden muss, ohne die Figur richtig kennengelernt zu haben. Die blitzlichtartigen Beschreibungen von Alltag, Aussehen, Wünschen und Zielen der Protagonisten ziehen die Leser in eine Geschichte, die hinten und vorne nicht zusammenzupassen scheint, und doch in sich harmonisch ist. Es entsteht das Gefühl, der Erzähler, welcher ohnehin andauernd wechselt, hätte gar kein richtiges Interesse an der Geschichte der Figur, die er für den Moment beschreibt. Zu schnell folgt er einer anderen, deren Einführung in die Geschichte sich wiederum sehr gut überlesen lässt. Diese Bedeutungslosigkeit der einzelnen Menschen und deren Schicksale sind es, die ein melancholisches Gefühl erzeugen, das beinahe unbehaglich ist. Zu wahr, zu alltäglich und zu real ist, was Peter Rosei niedergeschrieben hat.

Vom Glück ist daher in diesem Roman nicht viel zu spüren, und er hat auch kaum etwas Märchenhaftes an sich. Ob nun Lena, die in einem Altenheim arbeitet, András große Liebe wird, nur um dann im Nebensatz schwanger an Krebs zu sterben, während sie beiläufig erwähnt, dass sie ihn ohnehin die ganze Zeit betrogen hat und das Kind nicht von ihm ist. Oder ob Eva mit allen Männern der Geschichte ins Bett steigt, sich lang und breit an sie gewöhnt, um dann einen an den Tod zu verlieren, den anderen an das Geld und den nächsten an eine jüngere Frau und schließlich beim letzten überhaupt nicht mehr von Glück oder Liebe sprechen kann, während sie schlafend mit ihm per Zug in den obligatorischen Sonnenuntergang fährt. Von dem großen phantastischen Glück, das die doch recht eindimensionalen Märchen der älteren und jüngeren Vergangenheit beschreiben, ist daher in diesem Buch wenig zu spüren. Stattdessen schafft Rosei es, das Glück in den kleinen Dingen hervorzuheben, ohne es auch nur einmal als solches zu benennen. Um diese wenigen dezenten Momente zu erkennen, müssen sich die Leser allerdings durchaus anstrengen, da die sehr wohl märchenhaften Grausamkeiten zu oft in den Fokus rücken. Bei einigen der Protagonisten kann man sich denken: „So viel Unglück kann doch nicht nur einem Menschen geschehen“, und doch gibt es da diese leise Stimme im Hinterkopf die desillusionierend flüstert: „Natürlich, so etwas passiert jeden Tag!“

Der ständige Wechsel der Erzählperspektive komplettiert das emotionale Chaos bei der Lektüre des Romans. Auf einer einzigen Seite kann es passieren, dass zwischen heterodiegetischem Erzähler und zwei personalen Erzählperspektiven gewechselt wird. Manchmal auch mitten im Satz. Ab und zu kann man diese Wechsel an den unterschiedlichen Dialekten erkennen, wenn Rosei so gnädig ist, seine Figuren sprechen und nicht nur denken zu lassen. Oftmals bleibt den Lesenden allerdings nur die Wahl, noch einmal genauer hinzuschauen, um sich klar darüber zu werden, in wessen Geschichte sie nun schon wieder stecken.

Trotzdem ist der Roman schlecht aus der Hand zu legen. Zu sehr lässt sich mit den Figuren mitfiebern. Das kann so weit gehen, dass man echtes Mitleid empfindet oder sich tatsächlich freut, wenn einer Figur etwas Schönes widerfährt, nur um dann wieder am Boden zerstört zu sein, wenn ihr am Ende doch das Glück aus den Fingern gleitet. Als Rezensentin dieses Romans bin ich mir nach wie vor nicht klar darüber, ob ich sauer auf diesen Autor sein soll, der mir ein Märchen vom Glück versprach, oder doch eher von seiner Kunstfertigkeit beeindruckt bin. Denn schließlich hat er recht deutlich aufgezeigt, dass es im Alltag ein Märchen bleibt, dieses Glück. Alles in allem ist Peter Roseis Roman wirklich zum Heulen. Aber selbst das muss von Zeit zu Zeit schließlich sein. Lesen Sie das Märchen vom Glück jedoch besser nicht, wenn Sie eh schon einen schlechten Tag haben.

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Peter Rosei: Das Märchen vom Glück
Residenz 2021
176 Seiten / 20 Euro

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Foto: pixabay.com

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