Von Matthias Fischli
Es gibt das bunte Programm, das anspruchsvolle Programm, und dann gibt es noch das „übliche Programm“. In Franzobels historischem Roman zur ersten Nordamerikaexpedition bedeutet das: Indigene bekehren, Indigene schlachten, durch Sumpfwälder stapfen. Tag um Tag, Seite um Seite – wie eintönig! Kann Fabulierlust und Sprachspiel diese Monotonie aufbrechen?
Ferdinand Desoto (eigentlich Hernando de Soto) kann sein Glück nicht fassen: Im Auftrag von Papst und Krone soll der Spanier Florida erobern. Gold und ewige Jugend! Die Gerüchte über das sagenhafte Eldorado wuchern seit zwanzig Jahren. In diesen zwei Jahrzehnten haben drei berühmte Heerführer vergeblich versucht, sich einen Weg durch die Sumpfgebiete im Süden Nordamerikas zu bahnen. Franzobel (eigentlich Franz Stefan Griebl) beschafft dem historischen Stoff ein neues Mäntelchen. Schauplätze sind die Iberische Halbinsel, Algerien, die Karibik und die heutigen Südstaaten der USA.
Die erste Hälfte des Buches beschreibt die Vorbereitung der Expedition, die zweite die Unternehmung selbst. Von Anfang an ist klar: Das wird das „erfolgloseste aller spanischen Unternehmen.“ 800 Mann, eine Frau, 300 Pferde, Doggen, Herden von Kleinvieh und mehrere Tausend Ureinwohner sind dem Tod geweiht. Desoto scheitert spektakulär, stirbt am Ufer des Misiziibi (Mississippi), als dessen Entdecker er gilt. Eine dünne Rahmenerzählung begleitet die Geschichte: Ein New Yorker Anwalt fordert vor dem Supreme Court in einer Sammelklage die Rückgabe der USA an die indigene Bevölkerung. Geschildert wird alles von einem nicht näher genannten allwissenden Erzähler der Gegenwart, der auch vor moralischem Urteil nicht zurückschreckt. Zu urteilen gibt es allerhand: Die Defloration Floridas (so die Worte von König Karl V.) geht nicht eben zimperlich von sich. Blut und Schande überall. Auch wir urteilen: Wie gekonnt geleitet uns Franzobel durch die Erzählung von Desotos Gewaltritt?
Geschenkt: die vielen Übertreibungen und Wiederholungen. Franzobels Erzähler trägt dick auf. „Sollte sich doch der Supreme Court damit herumschlagen und zeigen, dass eins plus eins zwei war! Sonst können wir gleich die Scharia einführen oder zu den Gesetzen Mose zurückkehren.“ Abstoßende Szenen werden bei Franzobel grundsätzlich immer mit einem weiteren Dreh ins Absurde geschossen. Komisches Befremden durch Übertreibung ist Programm: „Ich habe nichts gegen diese Indianer, aber wer Menschen ohne Marinade grillt, hat keine Existenzberechtigung.“ Das ist schrill und hat Unterhaltungswert, doch wiederholt sich Franzobel allzu oft. Gewisse Sätze treten ohne ersichtliche Not sogar doppelt auf („Heute führt Herr Geier seine Frau zum Lunch.“).
Auch geschenkt: die gewollt holprigen Übergänge von einem Erzählstrang zum nächsten. „Lassen wir den Leuten Zeit…“, „Schauen wir, wie…“, „Wir schippern hinterher und…“ – diese und ähnliche Überleitungen sind von ausgesuchter Phantasielosigkeit. Als ob die Bewegung einer Kamera noch mit einer Regieanweisung aus dem Off erklärt werden müsste. Als ob jede Szene noch eines historischen Kommentars bedürfe: „Die Unsitte, Touristen Nippes und überteuerte Lebensmittel anzudrehen, war schon damals gang und gäbe.“ Überhaupt erklärt der allwissende Erzähler allzu viel. Der Roman stellt die richtigen Fragen, beantwortet sie dann aber auch gleich. Diese reizlose Überdeutlichkeit ist verantwortlich für so manche Länge auf den über fünfhundert Seiten.
Schließlich: Geschenkt auch die exzentrischen popkulturellen Vergleiche und das Spiel mit der Geschichtskultur. Franzobel wagt ein Art dialogisches Erzählen: Die Figuren aus dem 16. Jahrhundert stoßen auf den Widerspruch eines Erzählers aus dem 21. Jahrhundert. Der interhistorische Dialog führt zu mancher Situationskomik, oftmals recht platter. Über Kartoffeln: „Knollen? Wer isst so etwas? Wird sich nicht durchsetzen. Vielleicht in Streifen geschnitten, im Öl gebraten und mit roter Sauce? Lächerlich.“ Träume und Visionen sind anachronistisch: Ein Eroberer hatte im Angesicht des Todes „Wörter wie Schweinebucht und Che Guevara im Kopf, die er nicht zu deuten wusste.“ Desoto träumt im Delirium von Getränken namens Dr Pepper und Sprite. Die Verweise auf die Popkultur sind dabei Legion: Neues Personal wird regelmässig als frühneuzeitliche Inkarnation von Schauspielern eingeführt: „Wenn man sie schönredete, sahen sie aus wie Robert Redford und Paul Newman, die in einem Sozialdrama Ganoven spielen.“ Es folgt die Erfindung der Oper, des Popcorns, von Coca Cola („Enjoy!“), des Cockfights, von #MeToo („Mitu“) und des Ku-Klux-Klans. Zudem nehmen die Eroberer auf ihrer vierjährigen Reise verschiedene Entwicklungsstadien der europäischen Geschichte vorweg: Von Luther („Luder“) bis zum Genozid der Hutu an den Tutsi findet sich alles, sogar eine Art Weihnachtswunder 1914 vierhundert Jahre vor seiner Zeit. Angereichert und aufgemischt wird das mit Nietzsche („mehr apollinisch als dionysisch“), Conrad („Herz der Finsternis“) und Marx-Verschnitten („Gewinnmaximierung, Wachstum, Fortschritt“). Ein panoptisches Männerpanorama.
Worüber wir wirklich urteilen wollen: Franzobels Sprache. Der Erzähler kokettiert mit Fremd- und Fachwörtern. Sein Werk ist eine beredte Mischung aus gesellschaftskritischem Rundumschlag, historischem Roman und Schiffs-Glossar. Auch hier ein Hang zur Großsprecherei: „Wäre die Daguerrotypie schon erfunden worden, …“ Zum Schreien komisch: Indianernamen („Schlafende Babyschlange“), das Vaterunser eines Verschollenen („Beate Uhse i Immel, eiligt Erde Einnahme…“), Feminina in der Cofitachequi-Sprache („Flüssin“, „Fraudelbaum“, „Bemsiekung“ – „ als hätten Judith Butler, Alice Schwarzer und Susan Sontag eine Kommune gegründet“). Einfach nur plump: „Happylog“ (Epilog), „Fidels Gastro“, „hippokratisch hippophysischer Instinkt“ von Pferden (Was hat Hippokrates damit zu tun?). Wortspiele dieser Art kommen so massiert vor, als hätte der Roman etwas zu lange in der Sonne von Miami Beach gelegen. Die Creek-Indianer werden so oft als Griechen bezeichnet, bis dem Schriftsetzer des Buches ein Greek-Indianer rausrutscht.
Was bleibt? Das Buch verfolgt einen humanistischen Ansatz und ist dort am stärksten, wo dieser Anspruch nicht überdeutlich durchdrückt. Der interhistorische Dialog hat literarische Qualität, wenn auch nur auf der Oberfläche („Man könne ja schließlich nicht ganz Afrika aufnehmen. Finge man damit erst an, gäbe es bald keine Dänen mehr in Dänemark, die Schwarzen würden sich nicht anpassen, sie würden sich nicht anpassen, sie würden Kinder zeugen, die das Dänische verdrängten, den Leuten die Arbeit wegnahmen.“). Erzählt wird sehr bild- und kenntnisreich, die dafür verwendete Sprache überbordet aber oft ins Ungenießbare. „Das Dorf wurde geplündert, Frauen vergewaltigt. Das übliche Programm.“ Zurück bleibt: ein Gefühl der Sinnlosigkeit.
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Franzobel: Die Entdeckung Amerikas
Zsolnay 2021
544 Seiten / 26 Euro
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Foto: unsplash.com
Klingt, als habe der Autor seine Herangehensweise an „Das Floß der Medusa“ kopiert und als Schablone verwendet…
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Liebe Anette
Herzlichen Dank für deinen Kommentar! Mit deiner Beobachtung gehe ich absolut einig. Die Versuchsanordnung in der „Medusa“ hat zu sehr guten Ergebnissen geführt – nicht so in der „Eroberung“.
Sei gegrüsst!
Fischli
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Gut zu wissen! Viele Grüße zurück!
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