Die Welt wird bunter – Mithu Sanyal: Identitti

Kein Roman atmet mehr Gegenwart als Identitti. Ja, es scheint sogar möglich, dass Menschen in 20 oder 50 Jahren zu diesem Buch greifen werden, wenn sie unsere Zeit verstehen wollen. Ist der Roman deshalb für uns Heutige überfordernd, weil er sich eigentlich an Menschen in der Zukunft richtet? Der Verdacht könnte aufkommen, denn immerhin beschreibt die Hauptfigur Saraswati ihre Wirkabsicht als Professorin genauso. Identitti ist aber keine Überforderung, sondern eine Zumutung. Man sollte sich ihr stellen. 

Beim Häuten der verdorbenen Zwiebel – Norbert Gstrein: Der zweite Jakob

„Natürlich will niemand sechzig werden“, heißt es am Anfang von Norbert Gstreins neuem Roman. Wenn durch das Erreichen dieser Schwelle tatsächlich solche Prozesse in Gang gesetzt werden, wie sie der österreichische Autor in Der zweite Jakob beschreibt, wird man nicht widersprechen wollen. Gstrein zeigt ein verkorkstes Leben, das von außen nach Erfolg und Erfüllung aussieht. Welthaltig, wuchtig und melancholisch – ein großer Roman. 

In alles Leben gierig hineinbeißen – Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik

Mit einem durch und durch unkonventionellen Buch hat es die 1985 geborene Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. ‚Aus der Zuckerfabrik‘ fällt aus der Reihe – Autorin und Lektor sind sich nicht einmal einig, ob es sich dabei um einen Roman handelt oder eher um einen Recherchebericht. Was ist das Anliegen ihrer Arbeit? Über eine Lektüre so anspruchsvoll wie faszinierend.

„Warum merkst du nicht, wenn jemand lügt?“ – Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand

Als der Orient noch ein Geheimnis war und weder Orientalismus noch Orientalistik sich formiert hatten, brach der nahe Bremen geborene Mathematiker Carsten Niebuhr zu einer Expedition nach Arabien auf. Christine Wunnicke hat eine Episode aus dieser Reise für ihren hinreißenden Abenteuer- und Ideenroman ‚Die Dame mit der bemalten Hand‘ ausgewählt. Sie lässt Niebuhr auf den persischen Astronomen Musa treffen und in ihren Köpfen einen wilden Tanz aus Geschichten und Gedanken aufführen. Herausgekommen ist ein rasend komisches, bildreiches und sehr intelligentes Buch über die Kraft des Erzählens und die Möglichkeit der Verständigung zwischen den Kulturen.