Eine rastlose Jagd in Moll – Julia Malik: Brauch Blau

Von Meike Bogmaier

Die Schauspielerin Julia Malik hat ihren ersten Roman veröffentlicht. ‚Brauch Blau‘ erzählt eine packende und actiongeladene Geschichte von einer verzweifelten Frau und ihrem starken Drang nach Selbstverwirklichung. Der Plot und die Charakterentwicklung der Hauptfigur lösen nicht geringe Irritationen aus.

Gefangen zwischen der Liebe zu ihrem Ex-Mann, ihren Kindern und der Oper stolpert die Protagonistin durch Situationen, die nicht willkürlicher hätten gewählt sein können: Aufwachen in einem Hotelzimmer, selbstzerstörerische Handlungen, um dem drogengeschädigten Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, dann eine atemlose Suche durch die halbe Stadt, um die Kinder zu finden, die längst von dem netten Penner von nebenan sicher nach Hause gebracht wurden. Schließlich eine Rückblende zum Auslöser der Jagd: der Vergewaltigung durch den früheren Ehemann. Die zweite Hälfte des Buches beginnt anschließend eine weitere wirre Ereigniskette, die zur Anstellung ihres Hundes in der Oper, einer SM-Beziehung zum Intendanten des Stücks, einem kurzen Anflug von Verliebtheit und letztlich dem finalen Auflösen des Traumas durch das Einnehmen der Hauptrolle führt. Jedes für sich allein genommen, sind diese Erlebnisse beinahe realistisch oder zumindest vorstellbar, in Summe aber sind sie zu viel des Zufalls, wenn man die kurze Zeitspanne bedenkt, in der die Geschichte spielt. Eine derart schnelle Abfolge von extremen Ereignissen kann nur als willkürlich bezeichnet werden.

Brauch Blau setzt ein wie das Drehbuch eines Actiondramas. Ein Szenenwechsel jagt den Nächsten. Die Sätze sind dabei kurz, abgehackt und präzise getaktet. Julia Malik lässt keine Atempause und stürmt mit einer Bandbreite an Emotionen auf den Leser ein, die zu einer Verwirrung darüber führen, welches Gefühl der Geschichte angemessen ist: Zuneigung, Mitleid, Ekel oder Ablehnung.

Obwohl in der Handlung versucht wird, das kontinuierliche Fehlverhalten der Protagonistin mit Erlebnissen ihrer Kindheit und des kürzlich erlebten Traumas zu begründen, bleibt die Rechtfertigung dürftig. Unverständlich ist, wie es sich eine alleinerziehende Frau mit zwei kleinen Kindern erlauben kann, in Armut zu leben, weil sie sich weigert eine Arbeitsstelle in Betracht zu ziehen, die nicht die Oper ist. Dies, die Drogenexzesse, das Stehlen von Lebensmitteln und die gewalttätigen Tendenzen der Sängerin lassen es nicht zu, dass man sie als Heldin der Geschichte wahrnimmt, sondern werfen eher die Frage auf, warum noch niemand das Jugendamt verständigt hat. Gleichzeitig wünscht man ihr, dass alles besser wird, dass sie die Rolle bekommt, ihre Kinder gesund und munter sind und sie ein friedliches und glückliches Leben führen kann.

Der erste Roman der Schauspielerin Julia Malik reißt den Leser mit in die Abgründe einer Frau und lässt ihn nicht mehr los, bis das Buch endet. Dem Klappentext, der das Buch als „einen Roman über Mutterinstinkt“ betitelt und gleichzeitig über eine Frau spricht, „die sich gegen Fremdbestimmung wehrt“, muss allerdings widersprochen werden. Zwar fürchtet die Protagonistin den Verlust ihrer Kinder, begibt sich aber dennoch immer wieder in Situationen, die sie selbst oder ihren Nachwuchs gefährden. Über weite Strecken der Handlung ist sie genervt oder frustriert von der Lebhaftigkeit ihrer Kinder und den Anforderungen, die diese an sie stellen. Von Fremdbestimmung ist, mit Ausnahme der Vergewaltigung, kaum etwas im Buch zu finden. Eher wirkt es, als würde die Hauptfigur nur ihrem eigenen Willen und Urteil folgen, welches zugegebenermaßen nicht besonders gefestigt zu sein scheint. So ist sie hin- und hergerissen und schwankt immer wieder zwischen wollen und müssen, zwischen den eigenen Wünschen und ihrem Pflichtgefühl.

Die zwischendurch eingestreuten Sexszenen in der sprachlichen Manier von The End of Mr Y, ein beinahe philosophischer Roman über Bewusstsein von Scarlett Thomas, und Feuchtgebiete, dessen Vokabular im Ganzen einer einzigen Sexszene gleicht, tragen ihr übriges zur hektischen Handlung bei und wirken fehl am Platz. Ob die Abfolge von vergewaltigt werden, über gewaltsames Erniedrigen des Intendanten, bis hin zur Selbstbefriedigung auf der Hoteltoilette des Regisseurs eine Entwicklung der Protagonistin darstellen soll, lässt sich nur mutmaßen. Andernfalls jedoch hätte die Handlung neben dem Übergriff durch den Ehemann keinerlei Szenen dieser Art gebraucht, um in sich konsistent zu sein. Aus welchem Grund sie dennoch im Buch vorkommen ist für den Leser nicht direkt ersichtlich.

Dennoch gibt das Buch den Leser erst mit dem eigenen Ende wieder frei. Julia Malik hat einen Film auf Papier gebracht, der es versteht, den Zuschauer zu fesseln, Fragen und Unverständnis zu provozieren. Wieso macht sie das? Gäbe es keine einfachere Lösung? Wer sind all die neuen Personen und was bedeuten sie für die Handlung? Ist sie eine Heldin oder ein Bösewicht? Und vor allem: Wird am Ende alles gut? Die realitätsferne Unfassbarkeit und gleichzeitige alltägliche Nahbarkeit der Geschichte machen ihren Reiz aus. Es lohnt sich, dieses im Grundton melancholische Buch gelesen zu haben, und sei es nur, damit man sich am Ende darüber ärgern kann, dass es an Realismus fehlt.

Julia Malik: Brau Blau
Frankfurter Verlagsanstalt 2020
224 Seiten / 22 Euro

Foto: Graehawk / pixabay.com

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