Verstrahlt – Benjamin Heisenberg: Lukusch

Von Pascal Mathéus

Vom Strahlenopfer zum Schachgenie und hellsehenden Unternehmensberater: Anton Lukuschs abenteuerliche Biographie ist der Gegenstand von Bejamin Heisenbergs erstem Roman. Tragen skurrile Einfälle und filmische Cuts das Buch bis zum Ende?

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Helmut Kohls Aktien scheinen zu steigen auf dem Markt der deutschen Gegenwartsliteratur. Nach Timon Karl Karleytas auf die 98er Wiederwahl des Kanzlers hoffenden Schelmen-Helden (Die Geschichte eines einfachen Mannes, Piper 2021) beschert uns Benjamin Heisenberg in seinem Debütroman Lukusch nun ein strahlenbelastetes Kind aus Tschernobyl, mit dem Kohl auf einer PR-Veranstaltung Schach spielt. Doch Lukusch, wie das Wunderkind heißt, lässt sich nicht vom Kanzler beeindrucken. Er fertigt ihn ab in achtzehn Minuten.

Das Leben von Lukusch und seinem nicht von seiner Seite weichenden Schatten Igor wird die meiste Zeit von Simon Ritter erzählt. Ritter ist Filmemacher und Lukuschs ehemaliger Pflegebruder. In einer verwickelt und reichlich kompliziert ausgedachten Geschichte verschwindet Lukusch eines Tages wieder aus der Familie Ritter und wird zurück in die Ukraine geholt. Als viele Jahre später Igor plötzlich wieder auftaucht, macht sich Ritter – der gerade einfach nichts Besseres zu tun hat –, auf die Suche nach Lukusch, um einen Film über ihn zu drehen. Er trifft dabei mit seiner alten Liebe Maria zusammen und fährt mit ihr gemeinsam durch halb Europa, um nach Igor zu suchen, der sie auf Lukuschs Spur bringen soll. Allerdings scheint es mysteriöse und nicht wenig bösartige Mächte zu geben, die dieses Unterfangen verhindern wollen. Ritters Auto wird demoliert, Marias Familie bedroht und schließlich stehlen Unbekannte sämtliche Aufzeichnungen, die Ritter für das Filmprojekt gesammelt hatte.

Auch Benjamin Heisenberg ist bisher vor allem als Filmemacher in Erscheinung getreten. Dies zeigt sich auch in seinem ersten Roman. Die Prosa ist stark dialoglastig, leider ohne dabei vor Witz Funken zu sprühen. Heisenbergs Herkunft aus dem Film äußert sich außerdem in Schnitttechniken, die mitunter auch dort – im Film – besser aufgehoben wären. Etwa, wenn rasant zwischen zwei Schauplätzen hin- und hergeschaltet wird, wobei ein Gedanke beide Sequenzen verbindet. Was im Film durch die Macht der Bilder überwältigt und zwangsläufig aussehen mag, wirkt im Roman gewollt und stört den Erzählfluss auf unproduktive Weise.

Noch eigenartiger ist Heisenberg Entscheidung, die Schlüsselszenen des Romans in Drehbuchmanier abzufassen. Es ändert sich die Schrifttype und Regieanweisungen werden integriert. Doch wozu? Wieso hat sich Heisenberg nicht zugetraut, die wichtigsten Szenen seines Buchs erzählerisch zu bewältigen? Soll damit suggeriert werden, die Figuren erlebten sich selbst wie im Film?

Vermutlich haben sie gar keinen dramaturgischen Ursprung und sind aus dem schlichten Grund als Regieanweisungen abgefasst, weil sie diejenigen Passgen des Films darstellen sollen, die von Simon schon niedergeschrieben worden sind. Aber halt! Sind ihm nicht sämtliche Aufzeichnungen gestohlen worden? Auch im Plot von Lukusch ist unsauber gearbeit worden.

Und dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass der Roman stellenweise durchaus Freude macht. Gerade am Anfang, wenn nach und nach in geschickt arrangierter Komposition das Rätsel entblättert wird, das sich Benjamin Heisenberg in Anton Lukusch ausgedacht hat. Auch die manipulierten Bilder, die den angeblichen Lukusch mit Figuren der Zeitgeschichte oder an eigenartigen Schauplätzen zeigen, tragen zum Amüsement des Lesers bei. Gegen Ende des Buches löst der Autor seine anregend abstrus ausgedachte Geschichte jedoch im Stile einer Klamotte auf und greift dazu zu den bekannten und trivialen Mitteln Gewalt und Tod.

Dieser erste Roman zeigt, dass hier ein neuer Autor mit Phantasie in Erscheinung getreten ist. Ein gutes Buch bleibt er jedoch vorerst schuldig. Dazu sind die sprachlichen Mittel zu begrenzt und die formalen Arrangements verschiedener Gattungs- und Perspektivsprünge zu beliebig.

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Alexander Heisenberg: Lukusch
C. H. Beck 2022
270 Seiten / 25 Euro

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Foto: Amort1939 / pixabay.com

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