Bekenntnisse des Strebers Simon S. – Simon Strauß: Sieben Nächte

Von Pascal Mathéus

Worum sorgt sich eigentlich Simon Strauß? In seiner ersten erzählenden Veröffentlichung ‚Sieben Nächte‘ schildert der FAZ-Theaterkritiker die Überlegungen und Erlebnisse eines jungen Mannes, der viel mit ihm selbst zu tun hat. Ob das uns etwas angeht, bleibt fraglich.

Früher begann der Tag mit einer Schusswunde. Wenigstens eine blutige Nassrasur würde sich der Protagonist von Sieben Nächte noch wünschen. Am Übergang vom Studenten zum Berufstätigen, vom Jugendlichen zum Erwachsenen zieht er Bilanz. Sein Fazit lautet: zu brav, zu strebsam, zu wenig gelebt. Dies wird verbunden mit einer Kritik der Gegenwart, in der alle Kämpfe bereits lange ausgefochten sind und nichts mehr passiert. 

Den Ausweg aus Eintönigkeit und Müßiggang weist ihm ein unvermittelt auftauchender Fremder. Er fordert ihn dazu auf, in sieben Nächten die sieben Todsünden auszuprobieren, um auf diese Weise Intensität zu verspüren, mehr am Leben zu sein. Gesucht wird ein Heilmittel gegen den „Zynismus, der seine kalten Finger um alles legt“, gegen „das Panzerglas der Ironie“. Nach der Zustandsbeschreibung im einleitenden Kapitel berichtet der Text von eben diesen sieben therapeutischen Versuchen.

In einem Interview erzählte Strauß, dass er seinem Buch gerne die Genrebezeichnung „eine Anstiftung“ gegeben hätte. In der Tat ist nicht leicht ersichtlich, mit was für einer Sorte Text man es hier zu tun hat. Für eine Erzählung oder einen Roman ist er zu arm an Handlung. Allzu unmotiviert und künstlich wirkt die Idee mit dem Teufelspakt, der keinen weiteren Sinn transportiert, als Strauß ein Alibi zu verleihen, sein Buch zu schreiben. 

Auch die Konsequenz bleibt auf der Strecke: Während er in den vorderen Kapiteln noch wie eingangs versprochen in der ersten Person die Erlebnisse des Erzählers beim Versuch zu sündigen berichtet, ergehen sich spätere Abschnitte in assoziativem Nachdenken, das nur mehr lose an die jeweilige Todsünde geknüpft ist. Hätte er dagegen eine kulturkritische Gegenwartsanalyse liefern wollen, stellt sich die Frage, wozu dann die spröde fiktive Handlung nötig war. Um aber schließlich eine Anstiftung zu sein, wird zu wenig gewagt.

Denn wie wird in diesem Buch gesündigt? Wenn der Erzähler hochmütig sein will, verspottet er Spießer im Stil eines zweitklassigen Comedians: „Ich lache über all die braven Rolltreppenfahrer, die immer ganz rechts stehen, um zeigen, wie umsichtig und sozial kompetent sie sind.“ Unter Völlerei versteht er „Trüffelsalami, Rindertartar und Carpaccio vom John Stone Filet auf isländischen Flusssteinen, 250 Gramm Pommersches Eastcoat Entrecôte (Delta Dry Aged) an Pfifferlingen und Letscho, 300 Gramm Freesisches Westcoast Roastbeef auf Topinambursalat und Schmorgurken. Dazu eine Flasche Mano Negra von Philipp Kuhn, zwei Gläser Saint-Émilion und zum Tagesdessert einen klaren Marillenbrand.“ Hat ihm niemand gesagt, dass es bei der Völlerei mehr auf die Menge als auf die Ausgesuchtheit der Speisen und Getränke ankommt? 

Statt die Tiefe der Sünden und ihren möglichen Zusammenhang mit einem utopischen lebendigen Leben auszuloten, verliert er sich immer wieder in Allgemeinheiten und rennt mit schlaffen Worten offene Türen ein: „Zu viel Passivität und Rückzug bestimmen unser Leben. Dagegen muss man etwas unternehmen.“ So sind seine Sünden läppisch und die dazu vorgetragenen Überlegungen häufig schrecklich banal. Wen will er mit einer Figur anstiften, die sich darüber aufregt, dass ihr der Arm einschläft oder über die Mängel von Bierbänken sinniert? 

Doch Strauß weiß, dass sein Aufbäumen nicht ganz ernst zu nehmen ist. Er liefert die entscheidende Beschreibung selbst, wenn er seinen Erzähler aussprechen lässt, dass er „selbst in der ätzendsten Selbstkritik selbstgefällig bleibt, selbstverliebt, selbstgenügsam“. Der Verdacht, der immer wieder aufkommt – und sich auf den letzten Seiten schließlich bestätigt –, lautet: Das ist doch selbst alles ironisch gemeint! Auch die Aufgabe auszuscheren und sich einmal nicht an die Regeln zu halten, erfüllt der Protagonist mit dem streberhaften Eifer und der Blutleere, die seiner Generation nach Strauß’ Analyse nun mal zu eigen sind. Doch was bleibt dann? Eine ironische Anklage der Ironie, die sich selbst aufhebt. Leere.

Dieser Befund spiegelt sich in einem Stil, der eher vergrätzt als aufzurütteln. Zum Beispiel wenn Strauß suggestiv sein will („Sehnt ihr euch nicht manchmal auch nach wilderem Denken?“). Zuweilen erreichen seine Beschreibungen das Niveau von Metaphern aus einem Tim-Bendzko-Lied: „Statt raus zu gehen, den Alltag auszufüllen wie ein Kreuzworträtsel, bleibe ich heute zu Hause.“ Wenn der Erzähler in die Nacht hinausbrüllt, wird die Grenze zum Kitsch überschritten. 

Daneben stehen jedoch Schilderungen, in denen echte Verzweiflung, Wut und die Dringlichkeit des Themas spürbar werden. So bildet das Kapitel Invidia eine in sich geschlossene, zupackende Meditation über die Sterilität und das Epigonenhafte der Gegenwart, die man dem Erzähler ausnahmsweise abnimmt. Vielleicht wäre das Ergebnis von Strauß’ Buch überzeugender gewesen, wenn er unverblümt über das geschrieben hätte, was ihm am Herzen liegt, anstatt eine artifizielle, ironisch gebrochene Handlung dazu zu erfinden.

Denn das ist das eigentlich ärgerliche an diesem Buch: Als sein Altersgenosse kann ich gar nicht anders, als Strauß in seiner Gegenwartsanalyse zuzustimmen. Er hat ein nagendes Generationsgefühl erfasst, scheitert aber daran, es glaubwürdig zu beschreiben und kann mit seinem Lösungsversuch noch viel weniger überzeugen. Viel von der Kritik hat Strauß im letzten Kapitel seines Buches selbst vorweggenommen. Aber das macht es nicht besser. Eine ironisch gebrochene Anklage der Ironie ist keine Anstiftung, sondern ein Abturner.

Simon Strauß: Sieben Nächte
Blumenbar 2017
144 Seiten / 16 Euro

3 Kommentare zu „Bekenntnisse des Strebers Simon S. – Simon Strauß: Sieben Nächte

  1. Zustimmung. Meine Rezension dazu ist hier, mit folgendem Fazit:
    https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R9TZSNAUQJQ1A/

    Die Langweiligkeit einer aalglatt und zeitgeistig verlebten Jugend zu thematisieren und danach zu fragen, wie man reift und ein besonderes und sinnvolles Leben lebt, ist ein großartiger Ansatz und eine wichtige Fragestellung. Die Ausführung dieses Ansatzes muss jedoch als völlig gescheitert angesehen werden. Insbesondere ist es dem Autor nicht gelungen, wesentliche Irrtümer des Zeitgeistes zu überwinden. Schlimmer noch: Der Autor scheint eine Überwindung des aalglatten Lebens in Wahrheit gar nicht anzustreben, sondern sich mit einer vorübergehenden Simulation von Widerstand zufrieden zu geben, die in Wahrheit auch nur Teil des Mainstreams ist, den er im Grunde bejaht. — Es bleiben der Ansatz des Buches und einige lesenwerte literarische Miniaturen und zum eigenen Denken anregende Textstücke. Für den Rest gilt: Dandy, you’re NOT all right.

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