#bsoffeninwien – Stefanie Sargnagel: Dicht

Von Veit Lehmann

Es gibt Bücher, die machen durstig. ‚Herr Lehmann‘ z.B. oder ‚Wem die Stunde schlägt‘  (achten Sie mal auf die Weinbeschreibungen). ‚Dicht‘ von Stefanie Sargnagel reiht sich in diese feuchte Tradition ein, ohne jedoch das Niveau eines Hemingway oder gar den Witz eines Regener zu erreichen. Aber okaye Unterhaltung ist es doch.

Spiegel online hatte mal eine Kurzversion am Ende eines jeden Artikels. Warum gerade am Ende und nicht am Anfang wird das ewige Geheimnis der IT-Cracks vom Hammerbrook bleiben, aber für Stefanie Sargnagels Roman möchte ich das Prinzip vom Kopf auf die Füße stellen und die Kurzrezension an den Anfang setzen: Der Roman Dicht von Stefanie Sargnagel ist wirklich okay. Nicht mehr und nicht weniger.

Nun aber klassisch. Die Ich-Erzählerin Stefanie Sprengnagel schildert ihre Wiener Punker-Jugend, wenn man Punker noch sagen würde, und wenn nicht der Post-Modernismus die Wut aus allem genommen hätte. Die etwa 16-jährige Stefanie hat Stress mit der Schule, Autoritäten und mit sich selbst. Halt findet sie im alternativen Wiener Milieu aus Hippies, Sandlern, viel Bier und Aids-Michi, einem allesabhängigen Lebenskünstler und Träger des roten Fadens des Buchs. Michl oder eigentlich Michael Stanger ist Stefanies Konstante. Wenn das Schweinesystem Schule sie zu zerbrechen droht, lehrt sie Michi Sinn, wenn sie sich zwischen Dublin und Odessa verliert, ist seine Wohnung Hafen und wenn ihre Mutter resigniert, feiert sie in seinem Zimmer Abriss-Party oder experimentiert mit Ecstasy. Überhaupt ist Michi eine unvergessliche literarische Figur, entwickelt man doch für den gehpissenden, intellektuellen, am Ende bettlägerigen Mann eine ernste Zuneigung und die Sicherherheit, dass es sich hier um keine Erfindung handeln kann. Es sind das torkelnde Lebensgefühl und die tragische Melancholie einer Jugend, die Sargnagels Buch lesenswert machen. Spontan bekommt man Lust, ein Bier zu trinken.

Wie sie es schafft? Die konsequente Selbstironie, die schon Sargnagels Facebook-Status und Tweets kennzeichnet, nimmt dem Werk jeden Schmalz. Da stört es auch nicht, dass ihre Anekdoten, ganz offensichtlich dem Online-Reservoir entnommen, durch das Buch gestreut werden. Im Gegenteil; sie pointiert Alltägliches und ist manchmal ganz ernst. Das fuktioniert gut und etwa 2/3 lang.

Doch ganz will der Sprung zum Roman nicht gelingen. Die Exzessschilderungen werden redundant, das Bier beginnt schal zu schmecken. Das Coming-of-Age der Erzählerin liegt jedenfalls nach dem Ende des Buchs, wenn wir es mit ihrem bürgerlichen Namen Sprengnagel forterzählen wollten. Die gelegentliche autobiographische Melodramatik (nach ihrem überfälligen Schulrauswurf bleibt gar eine ganze Seite leer), tut dem ironischen Klang nicht gut, der schon ganz allein fähig war, auch die sensiblen Töne zu erzeugen.

Dies beschreibt dann auch am Ehesten das Dilemma einer postmodernen Generation, die ständig auf der Suche nach sich selbst ist, aber darüber unfähig wird, den Blick von sich zu lösen. Dennoch: Es bleibt Sargnagels beindruckendes ironisches Literaturtalent. Man darf gespannt sein auf ihren ersten richtigen Roman.

Eine Zusammenfassung der Rezension finden Sie am Anfang der Rezension.


Stefanie Sargnagel: Dicht
Rowohlt Hundert Augen 2020
256 Seiten / 20 Euro

Foto: Louisa Schwope

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